1335 - Mandragoros Liebeshexe
Der blieb nicht nur auf das Bein beschränkt, denn jetzt erlebte sie, was es heißt, Gefangene einer rätselhaften und mörderischen Natur zu sein.
Sie geriet in Bewegung und wurde von dieser einen Kraft zurückgezogen. Dabei schleifte sie bäuchlings über das feuchte Dach hinweg. Sie spürte jede Kante der Pfannen und wünschte sich in einen Traum hinein. Aber das, was unter ihr hinwegglitt, war echt: Es war der Zeitpunkt gekommen, an dem die Angst sie überschwemmte. Jeder Mensch besitzt einen derartigen Punkt, und da machte auch Gerda Simmons keine Ausnahme.
Sie hatte sich nie mit dem eigenen Tod und ihrem Ende beschäftigt, jetzt wurde sie dazu gezwungen. Diese verfluchte Ranke oder Liane würde sie nicht einfach nur über das Dach schleifen, weil es ihr Spaß bereitete, da gab es schon einen Hintergrund, ein bestimmtes Ziel, das mit ihrem Tod enden würde.
Ihre Rutschpartie veränderte sich. Sie wurde durch den Druck der Schlinge nach links gezogen und bemerkte, dass die Kante der Dachrinne an ihrem Körper entlangglitt.
Noch schneller klopfte ihr Herz. Gerda wusste, dass sie nur ein paar Zentimeter weiter nach rechts gezogen werden musste, dann war es um sie geschehen.
Sie würde nicht tief fallen, bestimmt nicht. Aber was würde mit ihr passieren, wenn sie plötzlich in diesen pflanzlichen Wirrwarr hineinsackte und irgendwo auf dem Boden landete?
Ein nächster Ruck.
Härter, schneller und intensiver.
Gerda Simmons wurde herumgezogen. Sie versuchte verzweifelt, noch einmal den nötigen Halt zu finden, aber sie rutschte an den Dachpfannen ab.
Plötzlich hing ihr Unterkörper bis zu den Oberschenkeln hin in der Luft. Da war der Halt weg. Ein gellender Schrei löste sich aus ihrem Mund, und der nächste Zug an den Beinen sorgte dafür, dass sie auch den letzten Kontakt verlor.
Mit ihrem gesamten Gewicht drang Gerda Simmons in die feindliche und unbekannte Pflanzenwelt hinein…
***
Es wäre ein wahnsinniger Tod gewesen. Ein irres Ende, wenn diese Person mich erwischt hätte.
Nichts konnte sie stoppen. Es gab einfach kein Hindernis zwischen uns beiden, und so ging sie ihren Weg.
Sie schaute mich an. Der starre Blick, die hellen, leicht grünen Augen, die sich auch in der Dunkelheit abmalten – das alles passte zu ihr, und auf ihren nackten Füßen bewegte sie sich beinahe lautlos durch das Gras.
Liane sagte nichts mehr. Auch ich blieb stumm. Es kam darauf an, dass ich genau im entscheidenden Augenblick reagierte. Und den musste ich abpassen. Nicht zu früh, nicht zu spät, wirklich in der richtigen Sekunde.
Sie freute sich, denn sie lächelte. Die Augen strahlten. Vorfreude auf meinen Tod.
Ich schätzte die Entfernung.
Drei Schritte vielleicht…
Da begann ich mich zu bewegen. Ich schwang mich in meinen Fesseln von einer Seite zur anderen. Allerdings nicht zu stark. Ich wollte Liane nicht misstrauisch machen.
Der nächste Schritt.
Jetzt lachte sie.
Wahrscheinlich sah sie mich bereits aufgespießt und blutend am Boden liegen.
Sie ging noch einen Schritt vor. Diesmal einen kleinen, denn mit dem nächsten wollte sie bei mir sein, um mich umarmen zu können.
Liane setzte an. Es sah aus, als wollte sie springen, und für mich wurde es wirklich höchste Eisenbahn. Ich dachte nicht mehr, ich handelte nur noch und schleuderte mich mit einer gewaltigen Kraftanstrengung nach links weg…
***
Gerda Simmons fiel!
Aber sie fiel nicht sehr tief. Nachdem die erste Schrecksekunde vorüber war, bekam sie den ersten Widerstand mit, der ihr von unten entgegengedrückt wurde. Zunächst glaubte sie daran, dass es Hände waren, weil sie so weich abgefangen wurde. Aber sie blieb nicht liegen. Das Eigengewicht sorgte dafür, dass sie weiterhin in die Tiefe fiel und die Widerstände eindrückte.
Halt bekam sie nicht, aber der Fall wurde gebremst. Das Gesicht schützte sie mit den Händen, die sie vor ihren Kopf hielt. Sie kippte auch leicht kopfüber nach vorn und befürchtete, mit dem Gesicht zuerst auf harten Boden zu schlagen.
Diesmal beschützte sie die Natur. In Intervallen rutschte sie weiter dem Erdboden entgegen, aber sie wurde immer wieder aufgefangen, wobei ihr Körper wippte, aber auch von dem getroffen wurde, was ihr im Weg stand.
Zweige peitschten gegen ihren Kopf. Andere kratzten mit Dornen über die Haut hinweg. Die Zeit lief auch jetzt normal ab, aber für Gerda dauerte alles viel länger.
Bis sie plötzlich auf dem recht weichen Untergrund landete.
Unbeweglich blieb sie liegen. Sie konnte
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