1335 - Mandragoros Liebeshexe
sich überall dort, wohin sie auch schaute.
Gerda Simmons hatte dafür keine Erklärung. Es war einfach unmöglich, dass derartige Dinge überhaupt geschehen konnten. Sie dachte auch daran, dass sie sich geirrt hatte, aber wenn sie hinschaute, dann schwebte das Gesicht auf und in den Pflanzen, von einem grünlich-silbernen Glanz umflort.
Das Erscheinen des Gesichts hatte sie ein wenig von ihren eigenen Sorgen abgelenkt, die jetzt allerdings wieder zurückkehrten und eine starke Beklemmung mit sich brachten.
Sie kniete noch immer auf der gleichen Stelle auf dem First. Der Schmerz in den Knien war zwar vorhanden, doch sie kümmerte sich nicht mehr darum. Da gab es andere Dinge, die ihr Sorgen bereiteten.
Wuchs der Wald? Wuchs er nicht?
Von ihrem Standort aus war das schlecht zu erkennen. Zwar hatte sie einen guten Überblick, aber Einzelheiten blieben ihr verborgen.
Bleiben oder verschwinden?
Sie entschied sich dafür, zunächst einmal die Stellung zu halten.
Dabei konzentrierte sie sich auf eine Seite und beobachtete dort die Pflanzen.
Es war nicht viel zu erkennen. An dem Gesicht störte sie sich nicht. Inzwischen war die Dämmerung auch von der Dunkelheit abgelöst worden. Am Himmel hatte sich auch das letzte Licht zurückgezogen. Aber es zeichneten sich keine Wolken ab. Das Firmament wirkte wie blank gefegt und anschließend noch poliert.
Tief durchatmen. Noch mal nachdenken, um dann eine Idee in die Tat umzusetzen.
Sie wollte nicht mehr auf ihrem Platz bleiben. Das Warten war nichts für sie. Dabei wusste Gerda, dass es ihr an einer anderen Stelle auch nicht besser ergehen würde. Es konnte ja sein, dass sie trotzdem eine Chance bekam.
Sie entschied sich für die Seite, an der sie auch hochgeklettert war. Dort befand sich die Tür, da waren auch Fenster. In der Hütte brannte sogar Licht. Es erreichte sicherlich die Fenster, aber es drang nicht mehr nach draußen, da der Wall aus Pflanzen einfach zu undurchdringlich geworden war.
Nach wie vor waren die rauen Dachpfannen durch die Feuchtigkeit glatt. Gerda zitterte. Sie atmete hektisch. Sie gab Acht. Sie zwang sich, die Nerven unter Kontrolle zu halten. Sie merkte ihren eigenen Herzschlag überlaut. Ihre Knie schmerzten noch stärker, als sie rutschte und dabei das Gefühl bekam, Haut an den Kniescheiben zu verlieren, die dann an der Innenseite der Hose festklebte.
Es klappte.
Sie wollte sich schon freuen, als sie merkte, dass sie doch etwas zu schnell rutschte. Für Sekunden geriet sie in Panik. Dann kehrte das normale Denken wieder zurück, und sie veränderte behutsam ihre Haltung.
Weg von der knienden Position. Sich lang auf den Bauch legen, das war jetzt die bessere Lösung. Zwar glitt sie auch jetzt weiter, aber sie konnte ihren Weg kontrollieren.
Mit der vorgestreckten Hand stemmte sie sich immer wieder ab.
Den Druck des Gewehres spürte sie kaum noch auf ihrem Rücken.
Sie konzentrierte sich einzig und allein auf die Dachrinne.
Genau da stoppte sie.
Parallel zur Dachrinne blieb sie liegen. Ihr Atem musste sich erst mal beruhigen. Sie schloss auch die Augen und hörte, wie das Blut in ihrem Kopf toste.
Und sie bemerkte auch, dass dieser andere und fremde Geruch von unten her in ihre Nase stieg. Vom Boden stammte er bestimmt nicht. Er musste sich in den Pflanzen gesammelt haben und drang nun über die Dachkante hinweg. Sie wusste nicht, wie sie ihn bezeichnen sollte. Er war nicht unbedingt frisch. Er roch faulig, vielleicht auch feucht. Ob er vom Boden her in die Höhe stieg, fand sie auch nicht heraus, weil ihr der dichte Wall den Blick in die Tiefe verwehrte.
Alles glänzte feucht, als wäre es mit einer Ölschicht beschmiert worden. Sie befand sich in Mitteleuropa, und das Wissen konnte ihr niemand nehmen, aber wenn sie sich diesen Bewuchs so anschaute, kam ihr der Verdacht, sich in einem anderen Erdteil zu befinden. In Afrika oder Südamerika, wo der Dschungel sich ausbreiten konnte.
Es war alles so dicht geworden, und sie musste auch zugeben, dass es ihr nicht mehr möglich war, bis zur Tür zu gelangen. Die Pflanzen waren so weit nach vorn gewachsen, dass sie den Eingang und das Mauerwerk berührten und sicherlich auch dagegen drückten. Irgendwann würde ihre Kraft so groß sein, dass die Holzwände nicht mehr hielten.
Gerda Simmons sah keinen freien Fleck mehr. Es gab die Lichtung nicht mehr. Alles war zugewachsen.
Was ist, wenn ich springe?, dachte sie. Breche ich ein oder reagiert das Strauchwerk wie ein Trampolin?
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