1342 - Die Totmacher
allein gelassen hatte. Doch das Kind hatte sich unwahrscheinlich auf Halloween gefreut. Außerdem würden bald die Freundinnen kommen und sie mitnehmen. Dann würden sie durch den Ort gehen, um die Menschen zu erschrecken.
Alles war ein Spiel, ein Spaß. Halloween gehörte nun mal in den Lauf der Jahreszeiten hinein. Das hatte sich in den letzten Jahren wirklich so eingebürgert. Karen allerdings machte sich nichts daraus. Sie kam auch ohne dieses Fest gut zurecht, denn sie holte den romantischen Faktor für sich hervor.
Kerzenlicht. Das Feuer im Kamin. Die Gerüche des Herbstes.
Schatten, die sich wie Geistwesen um das Haus legten, wenn die Dunkelheit kam und auch den Nebel mitbrachte.
Da wurde es stiller. Da hatten die Menschen wieder Zeit, über sich nachzudenken, in sich zu gehen und sich auch derer zu erinnern, die unter der Erde lagen.
Karen mochte den Herbst. Aber auch den Winter, den Frühling und den Sommer. Sie brauchte die vier Jahreszeiten und hätte nie in südlichen Ländern leben können, wo an fast jedem Tag des Jahres die Sonne schien und die Hitze nie verging. Florida und die Südstaaten der USA waren für sie ein Albtraum.
Den Ort hatte sie hinter sich gelassen. Warum die Haltestelle vor Ratley aufgebaut worden war, hatte sie nie begriffen. Das war nun mal so passiert, und damit mussten die Menschen sich abfinden.
Karen Blaine hatte nur noch eine kurze Strecke bis zu ihrem Ziel zu fahren, als sie im Außenspiegel ein durch den Dunst verschwommenes Licht entdeckte. Nur eines. Einem Bike gehörte es nicht. Es kam zu schnell in ihre Nähe und sie hörte das Dröhnen einer Maschine. Da überholte sie bereits das Motorrad.
Sie drehte den Kopf nach rechts. Das Fahrzeug huschte vorbei.
Gerade noch erkannte sie, dass auf der Maschine zwei Personen saßen, wobei der Fahrer ein seltsames Aussehen besaß.
Auf seinem Kopf…
Dann war er weg. Der Dunst hatte ihn verschluckt, als wäre er in einen Brei hineingefahren.
Karen Blaine atmete tief durch. Die Begegnung war eigentlich normal gewesen, aber sie kam ihr schon ungewöhnlich vor. Sie kannte jeden, der im Ort lebte, aber dies Paar war ihr unbekannt vorgekommen, auch wenn sie es nur kurz gesehen hatte.
Das Motorrad war so schnell wieder verschwunden wie es erschienen war. Ein Phantom im Nebel. Ein Spuk, der in diese Zeit hineinpasste, Karen aber trotzdem zum Frösteln brachte.
Hinter der Haltestelle stoppte sie, nachdem sie den Honda gedreht hatte. Dessen Schnauze zeigte jetzt in Richtung Ratley. Das war auch so von ihr gedacht, denn wenn ihr Mann eintraf, brauchte sie nicht erst noch zu wenden.
Obwohl sie dicht am Rand der Straße stand, schaltete sie das Standlicht ein. Sie wollte auf keinen Fall übersehen werden, denn der Nebel nahm immer mehr zu. Besonders vom Bach her wallten die Schwaden lautlos heran.
Um diese Zeit fuhr niemand mehr mit dem Auto freiwillig durch die Gegend. Aber die Busse fuhren noch. Allerdings musste Karen damit rechnen, dass ihr Mann mit Verspätung eintreffen würde.
Wenn es zu lange dauerte, würde er sicherlich anrufen, deshalb hatte sie ihr Handy auf den Beifahrersitz gelegt.
Nachdem das Geräusch des Motors verklungen war, wurde es still um sie herum. Es gab keine Geräusche mehr. Der Nebel schluckte alles. Auch vom Ort her schwang nichts herüber. Sie versuchte, etwas zu erkennen. Es war fast unmöglich. Ratley schien meilenweit entfernt zu liegen. Nicht mal die Umrisse des Kirchturms waren zu sehen. Der Nebel hüllte ihn ein wie ein dichtes Tuch.
Dass es dort trotzdem Leben gab, dafür garantierten die Lichter, die wie helle Flecken aus dem Grau hervorleuchteten.
Karen hoffte, dass der Bus einigermaßen pünktlich war. Eigentlich wollte sie nur im Wagen sitzen bleiben und nicht großartig nachdenken, aber das schaffte sie nicht.
Die Gedanken drehten sich um ihre Tochter Wendy und um das, was sie gesehen hatte.
Das war der Mann mit der Axt im Kopf!
Sie erschauderte leicht bei diesem Gedanken. Halloween hin – Halloween her, eine derartige Verkleidung fand sie einfach fürchterlich und selbst für diesen Tag unpassend. Und wie Kinder darauf reagierten, hatte sie bei Wendy erlebt. So etwas musste nicht sein, und sie konnte sich auch nicht vorstellen, wer aus Ratley sich für eine solche Verkleidung entschieden hatte. Karen kannte alle Bewohner, doch ihr kam keiner in den Sinn.
Sie spann den Gedankenfaden weiter. Ohne es eigentlich zu wollen, kam ihr wieder das Paar auf dem Motorrad in den Sinn.
Hatte
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