1342 - Die Totmacher
Eindringlings zu sehen, was sie auch schaffte.
Der Kopf hatte eine seltsame Form bekommen. Er war an seinem Ende verlängert worden und in dieser Verlängerung hatte die verdammte Axt gesteckt.
Also kein echter Kopf. Nur spielte das keine Rolle mehr, denn die Axt war echt!
Metall kann man manchmal riechen und Karen glaubte, es in diesem Fall zu können. Für sie war es ein kalter und schon widerlicher Geruch, der da an ihre Nase trieb. Zudem hatte der Eindringling die feuchte Kühle mitgebracht. Da schien der Nebel noch in seiner Kleidung zu hängen.
Karen Blaine fröstelte nicht deswegen. Sie erlebte eine schlimme Angst, und sie hatte Mühe, ein Aufeinanderschlagen ihrer Zähne zu vermeiden. Seltsamerweise dachte sie dabei weniger an sich, als vielmehr an ihre Tochter, die diese schreckliche Gestalt bereits im Garten hinter dem Haus gesehen hatte.
Von dem Gesicht sah sie nicht viel. Es kam ihr allerdings irgendwie künstlich vor, und sie glaubte auch, einen Blauschimmer dort zu sehen, aber das konnte auch eine Täuschung sein, ein Produkt ihrer Angst.
Karen wunderte sich, dass sie ihre Sprache wiederfand und auch reden konnte.
»Wer sind Sie?«, flüsterte sie mit einer Stimme, die sie kaum erkannte.
»Ich bin der Totmacher!«
Es gab keinen Grund, über die Antwort zu lachen. Sie war einfach zu schlimm. Aber sie passte zu ihm und seltsamerweise glaubte sie nicht an einen Halloween-Scherz. Dazu war der Mann zu böse und grausam. Das hier war echt.
»Totmacher?«, hauchte sie.
»Ja, warum nicht?«
»Und weshalb…«
»Sei ruhig. Ich habe meine Gründe. Ich verspreche dir, dass dieses Halloween für dich das letzte in deinem Leben sein wird. Noch vor Tagesanbruch bist du tot. Aber nicht nur du. Wichtig ist dein Mann und auch deine Tochter.«
Karen glaubte, von einer glühenden Lanze durchbohrt zu werden. »Meine… meine Tochter?«
»Ja, auch sie.«
»Das können Sie nicht machen, Mister. Das ist ein Kind. Sie hat Ihnen nichts getan, ich auch nicht. Ich kenne sie gar nicht. Ich will auch nicht…«
»Halt dein Maul, verdammt!«
Karen schwieg. Der Plan, den Eindringling durch schnelles Sprechen zu beeinflussen, war dahin. Er würde sich auf nichts einlassen.
Sein Plan war gefasst und damit hatte es sich. Sie schielte wieder in den Innenspiegel und sah die blanke Schneide der verdammten Klinge nicht weit von ihrer Kopfstütze entfernt. Die Hand brauchte die Waffe nur einmal kurz zu bewegen, und es war vorbei.
Karen Blaine bewegte sich nicht mehr. Sie war zu einer Statue geworden. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Die gesamte Szene war für sie so irrelevant geworden und sie kam sich sogar vor, als wäre sie aus der normalen Welt herausgetreten.
Und dann sah sie die Lichter!
Ob fern oder schon nah, war schlecht auszumachen, da der Nebel alles verzerrte und Wahrheiten oft verändert aussehen ließ. Wie dem auch sei, der Bus kam und damit auch Ethan, ihr Mann.
Mein Gott, Ethan!, dachte sie. Ihr Hals wurde eng. Sie spürte im Kopf einen wahnsinnigen Druck. Er saß im Bus, er würde an der Haltestelle aussteigen und an nichts Böses denken. Für ihn würde alles normal verlaufen. Er freute sich auf den Feierabend in der Familie. Sie hatten vorgehabt, es sich in den folgenden Stunden im Haus so richtig gemütlich zu machen. Eine Flasche Rotwein leeren, etwas zu knabbern hinstellen, Kerzen leuchten lassen und…
Vorbei!
Nichts davon würde eintreten. Alles würde anders sein. Der Tag würde mit dem Grauen enden.
Karen erstickte fast an ihrer Angst. Im Hals steckte ein unsichtbarer Kloß, aber sie verfolgte trotz des Drucks auch weiterhin die Lichter des heranfahrenden Busses, die sich noch immer nicht klar hervorschälten, obwohl das Fahrzeug bereits die Haltestelle ansteuerte.
Der Bus stoppte.
In der Regel war es so, dass hier in Ratley nur wenige Menschen ausstiegen. An diesem Abend verließ nur ein Passagier den Bus. Es war der Anwalt Ethan Blaine, der kaum seine Füße auf den Boden gesetzt hatte, als der Bus schon wieder anfuhr, er zurücktreten musste und seiner Frau der Blick auf ihn genommen wurde.
Was soll ich tun?
Es waren viele Gedanken, die durch ihren Kopf rasten und die Panik noch weiter steigerten. Sie stand nahe davor, die Kontrolle über sich zu verlieren. Von innen verstärkte sich der Druck. Lange hielt sie es nicht mehr aus. Da musste sich die Angst durch einen Schrei freie Bahn verschaffen. Sie hatte bereits den Mund geöffnet, als der Bus am Honda vorbeirollte.
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