1346 - Mallmanns Schicksal
Ich sehe sie noch vor mir, als wir das Haus betraten. Wir sind wirklich nur um eine Idee zu spät gekommen.«
Ich schwieg. Das Thema wollte ich nicht weiter ausmalen. Auch mich erwischten immer wieder diese Gedanken, denn wir hatten beide sehr an Sarah gehangen.
Die Wolkendecke des Himmels war nicht mehr so dicht. An einigen Stellen zeigte sie Löcher, und so verirrten sich ein paar Sonnenstrahlen auf dem Friedhof.
Das Licht blendete mich ein wenig. Ich drehte den Kopf nach rechts. Dabei schaute ich über den Weg, den auch ich gekommen war. Er war nicht mehr leer. Ungefähr dort, wo er vom Hauptweg sich trennte, zeigte sich eine Gestalt.
Sie ging in unsere Richtung und bewegte sich mit recht zielsicheren Schritten. Ich wollte schon wieder wegschauen, als mir etwas an ihrem Kopf auffiel. Es war das helle Haar, und zwar so hell, wie man es nur selten sieht.
Im Innern gab es einen Stich, denn die Person kannte ich.
»Nein, nicht das…«
Ich hatte so laut gesprochen, dass auch Jane Collins aufmerksam wurde. »Was ist denn los?«
»Es kommt uns jemand besuchen.«
Jane schaute nicht an mir vorbei, sondern blickte mich an. »Wer ist es denn?«, flüsterte sie.
»Justine Cavallo…«
***
Jane hatte etwas sagen wollen, nur kam sie dazu nicht mehr. Ihr blieb einfach die Sprache weg. Dabei war Justine schon so nahe an uns herangekommen, dass wir ihre Schritte hörten, denn auch sie wirbelte mit den Schuhen das Laub auf.
Neben uns blieb sie stehen.
Jane und ich drehten uns. Ich war wütend, ich war sauer, obwohl Justine mir hier auf dem Friedhof das Leben gerettet hatte, als mich eine Kopfgeldjägerin hatte töten wollen.
Das war ein anderer Zeitpunkt gewesen und ebenfalls eine andere Situation. Jetzt aber konnte ich sie nicht gebrauchen. Dennoch riss ich mich zusammen, und meine Stimme klang sogar recht neutral.
»Was willst du hier?«
»Jemanden besuchen.«
»Ach? Lady Sarah?«
»Nicht unbedingt.«
»Schön, dass du ehrlich bist.«
»Das ist meine Art.«
Jane mischte sich jetzt ein. »Hör auf, Justine. Bitte, hör auf. Lass uns wenigstens hier allein. Es reicht mir, dass du schon in meinem Haus wohnst.«
»Das wird auch noch so bleiben.«
Es war ein einfacher Satz, nur eine schlichte Aussage, aber mir rieselte trotzdem ein Schauer über den Rücken. Ich wusste, dass Justine nicht grundlos erschienen war.
Jane hatte sich einfach weggedreht. Ich allerdings schaute die Vampirin scharf an. »Darf ich fragen, was deine letzte Aussage zu bedeuten hat?«
»Darfst du, John.«
»Ich höre.«
Sie lächelte, ohne ihre Vampirzähne zu zeigen. »Ich habe mich heute entschlossen, endgültig in eurem Dunstkreis zu bleiben.«
Ich grinste etwas abfällig. »Ist das die Überraschung gewesen, die du uns unbedingt hast mitteilen wollen?«
»Nicht ganz.«
»Aha.«
»Zwischen mir und Mallmann ist das Band gerissen!«
Nach dieser Aussage zuckte auch Jane Collins zusammen. Sie bekam plötzlich große Ohren. Sehr scharf saugte sie die Luft ein.
»Was hast du da gesagt?«
Justine wiederholte ihre Worte.
Jane und ich schauten uns an. Wir begriffen beide diesen radikalen Wandel nicht, denn Justine hatte sich nicht, so angehört, als würde sie lügen.
»Wie ist es denn dazu gekommen?«, fragte ich. »Hat Mallmann dich besucht und dir mitgeteilt, dass es zwischen euch aus ist?«
»Nein. Er brauchte mich nicht zu besuchen. Ich habe auch so Bescheid gewusst.«
»Gut. Und weiter?«
»Es ging über den Kopf. Wie du vielleicht weißt, stehen wir in einer bestimmten Verbindung. Wir sind ja gleich im Blute«, sagte sie lachend. »Ich habe erfahren, welchen Weg er jetzt gehen wird.«
»Und wie sieht der aus?«
»Dracula II hat sich neu orientiert. Er befindet sich auch nicht mehr in unserer alten Vampirwelt. Er hat sie aufgegeben und dem Schwarzen Tod überlassen. Kurz bevor der ihm mit seiner Sense den Kopf abschneiden konnte, erschien jemand und hat ihn gerettet.« Justine hob die Schultern, dann schaute sie zu Boden. »Es ist eine alte Freundin von ihm gewesen. Sie hat ihm damals auch beim Aufbau der Vampirwelt geholfen, und ich kann nicht behaupten, dass sie mir sympathisch ist, weil ich schon in ihrem Revier gewildert habe.«
Ich musste nicht lange überlegen, denn ihre Worte waren bei mir nicht auf taube Ohren gestoßen.
»Ist es Assunga, die Schattenhexe?«
»Ja, genau sie!«
Eigentlich hatte ich lachen wollen, aber mir fiel rechtzeitig genug ein, dass dies nicht der richtige Ort dafür war. Also hielt ich
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