135 - In der Falle
Wasserspiegel durch den See.
Der Hundemeister und der Riese hatten Bulldogg am anderen Ufer abgeholt. Er brachte neue Nachrichten aus Beelinn. »Miouu!« Watzlowerst deutete zu dem noch etwa vier Speerwürfe entfernten Anlegesteg. Er strahlte wie ein kleiner Junge. »Sie ist zurück!«
Fünf Gestalten bewegten sich dort auf den Planken. Die kleinste, Miouu, erkannten sie am schwarzen Haar und dem schwarzen Pelzmantel. Sie und Maakus, der treue Freund Bulldoggs, waren seit Wochen in den Wäldern und Ruinen unterwegs gewesen, um überlebende Anhänger der Königin von Beelinn zu suchen und um sich zu scharen.
Ein paar Tage nachdem der Hundemeister und der Riese sie auf dem Grabmal des Göttersprechers bestattet hatten, war sie plötzlich unter dem verschneiten Baumhaus aufgetaucht. Der Riese war vor Rührung und Freude ganz außer sich. Rudgaar konnte es tagelang nicht fassen. Bulldogg, der ein derartiges Mysterium nicht zum ersten Mal erlebte, war einfach nur glücklich. Keiner der drei Männer jedoch hatte Miouu zu fragen gewagt, was sie erlebt hatte und was geschehen war.
»Was für eine Frau«, sagte Rudgaar. »Ich bin so froh, dass sie wieder bei uns ist!«
»Sie ist besser als zehn starke Kämpfer«, antwortete Bulldogg. »Hüten wir sie, wie man einen Edelstein hütet.«
»Wie einen Schatz!«, stimmte Watzlowerst am Bug seinen Kameraden zu. Kraftvoll pflügte er mit seinem Paddel durch das Wasser. Er schien es besonders eilig zu haben.
»Wir sollten einen Sklaven Arnaus fangen und ihm Wasser mit Silberbaumrinde einflößen«, sagte Bulldogg. »Einen Pottsdamer oder einen Beelinner.«
»Warum?« Verwundert drehte der Hundemeister sich nach Bulldogg um.
»Miouu glaubt, dass der Scheußliche die Menschen durch ein Gift versklavt«, sagte Bulldogg. Er sprach von jenem abscheulichen Boten Orguudoos, dessen Waffenrohr das Höllenfeuer des höchsten Dämons über die Waldmänner und das Beelinner Heer gebracht und so die Schlacht auf dem Schönen Feld entschieden hatte. »Ein Gift, das ihren Geist betäubt. Und sie glaubt, erst Watzlowersts Silberbaumrinde hätte ihr den freien Willen zurück gegeben.«
»Dann wäre es ein wahres Wundermittel.« Rudgaar dachte an seine eigene schwere Verletzungen aus der Schlacht am Schönen Feld: Auch sie hatte der Riese erfolgreich mit Silberbaumrindenpulver behandelt. Miouu dagegen war gestorben – um ein paar Tage später wieder im Schnee unter dem Baumhaus zu stehen; gesünder und kräftiger als je zuvor.
Aber ob das Pulver aus der Sklaverei des Scheußlichen zu befreien mochte? Ein Versuch war es wert. Er nahm sich vor, mit Miouu über Bulldoggs Vorschlag zu sprechen.
»Was mag das bloß für ein Geheimnis sein, das sie dem Tod entreißen kann?« Rudgaar dachte laut vor sich hin. »Ist es denn wirklich wahr, dass sie nicht sterben kann?«
»Natürlich wird sie eines Tages sterben«, sagte Bulldogg.
»Aber dann werden wir alle längst tot sein.«
Der Anlegesteg war nur noch einen Speerwurf weit entfernt.
Miouu und Maakus winkten. Ihre Gestalten verschmolzen schon mit der hereinbrechenden Dunkelheit.
»Ich hörte einmal, sie sei bei schwarzen Wildkatzen aufgewachsen«, fuhr Bulldogg mit gesenkter Stimme fort.
Vorn am Bug drehte Watzlowerst den Kopf zur Seite, um ja kein Wort zu verpassen. »Und erst wenn die letzte dieser Katzen ihr Leben an Miouu verschenkt habe, erst dann könne der Tod auch ihr etwas anhaben.«
»Was für eine Geschichte!« Rudgaar schüttelte den Kopf.
Für einen Moment schoss ihm der Gedanke an seine tote Familie durch den Kopf. Er stieß das Paddel ins Wasser, als gelte es, ein Kwötschie oder eine Wasserschlange zu töten.
Wie ein Stich fuhr ihm die Erinnerung ins Herz. Er biss die Zähne zusammen. Zwei Atemzüge später hatte er sich wieder unter Kontrolle. »Was muss man eigentlich tun, damit einem die Leute so eine schöne Legende anhängen?«
»Ich habe viel gesehen in meinem Leben«, sagte Bulldogg mit plötzlich heiserer und seltsam leiser Stimme. »Glaub mir – es ist mehr als nur eine Legende…«
Rudgaar antwortete nicht. Ein wenig beneidete er Bulldogg – nicht nur, weil es dem Einäugigen gelungen war, seine Familie aus Beelinn heraus zu schaffen, als die Scheußlichen die Siedlung schon besetzt hatten. Er beneidete den ehemaligen Oberst der Palastwache vor allem aber, weil dieser, glaubte man seinen Erzählungen, schon die halbe Welt gesehen haben musste. Der Hundemeister dagegen hatte den größten Teil seines Lebens in
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