135 - In der Falle
durch den Laden schleichen. Sie spähte durch den Spalt zwischen Stoff und Kabinenrahmen.
Maskierte Männer in schwarzen Kampfanzügen durchkämmten das Modehaus. Sie waren mit Sturmgewehren bewaffnet. Früher oder später würden sie vor ihrer Kabine stehen.
Es gelang ihr, sich ins Treppenhaus und von dort in einen großen unübersichtlichen Raum zu schleichen: das Lager. Sie verkroch sich in einem Rollcontainer voller Damenpullover.
Dort verharrte sie den Rest der Nacht. Niemand entdeckte sie.
Am Morgen hörte sie kurze rasche Schritte. Sie spürte, wie jemand den Containerwagen anschob. Sie richtete sich unter dem Pulloverberg auf – und eine zu Tode erschrockene Frau presste die Hände vor den Mund. »Wer sind Sie…?«, keuchte sie.
»Der Erste Königliche Berater der Königin von Beelinn.« Er packte sie am Hals, drückte zu und riss sie zu sich in den Container. »Aber das ist nicht richtig«, flüsterte er, während sie sich im Sterben wand. »Wer bin ich wirklich?«
***
Berlin, Ende Februar 2521
Unten in der Siedlung flammten die ersten Fackeln und Öllampen auf. In den letzten zwei Wochen waren weitere Fahrzeuge eingetroffen. Alle ohne Ladung, wie Conrad von Leyden versichert hatte. Vier von ihnen formierten sich gerade zur Spitze einer Kolonne – zwei Panzerfahrzeuge und zwei Tieflader voller verrosteter Raketen. Ihre Scheinwerferkegel beleuchteten die Ruinenmauern und die Überreste der mittlerweile zusammengeschmolzenen Schneehaufen. In drei Tagen sollte der Konvoi zum Kratersee aufbrechen. Jenny fragte sich, wer all die Fahrzeuge steuern würde. Ob sie ihren Sklaven das Fahren beibrachten? Vermutlich. Aber warum hatte sie dann nie jemanden bei Fahrübungen beobachtet?
Sie fasste den Marktplatz ins Auge und das große Dach des Hospitals. Dort musste sie hin, irgendwie. Dort lag die letzte Brücke zu Matt. Das Funkgerät.
Schritte und Schlüsselrasseln erklangen außerhalb ihres Kerkers. Von Leyden trat ein. »Ihr Abendessen, Gnädigste.«
Der pickelgesichtige Zellenwächter knallte ein Tablett auf den Tisch. Sein Helm war zurückgeklappt, sein Anzug bis zum Bauchnabel geöffnet.
Conrad von Leyden ließ es sich nicht nehmen, der Gefangenen die Mahlzeiten persönlich zu bringen; zwei Mal am Tag und in den letzten drei Wochen zu ständig wechselnden Zeiten. Wollte er sie überraschen? Manchmal fragte sich Jenny, ob er irgendetwas ahnte. Oder hatte Arnau womöglich einen der beiden Freien dort unten in der Siedlung gefangen genommen und verhört? Die zweite Nachricht von Miouu, Bulldogg und Rudgaar hatte einen Funken Hoffnung in die Dunkelheit von Jennys Gemüt gebracht.
»Und? Ist es in dieser Nacht genehm?« Der junge von Leyden stellte sich neben sie ans Fenster. »Wenn nicht, sähe ich mich leider gezwungen, deiner Tochter weh zu tun.«
»Das würdest du über dich bringen? Dann wärst du nichts weiter als ein gottverdammtes Schwein!«
»Nun, wenn du es über dich bringst, mich wieder abzuweisen…?« Er grinste. »In diesem Fall könnte ich dann für nichts garantieren. Ich hab verdammt dicke Eier, musst du wissen. Da kann man sich schon mal vergessen.«
Jenny schluckte den aufsteigenden Ekel hinunter. »Da unten gibt es etwas, das mir sehr am Herzen liegt.« Mit einer Kopfbewegung deutete sie in die Siedlung hinab. »Eine Uhr. Mein Mann hat sie mir zu Weihnachten 2010 geschenkt. Das letzte Weihnachtsfest, das wir gemeinsam feiern konnten.«
»2510 meinst du sicher.« Noch immer lag das überlegene Lächeln auf dem Pickelgesicht des Jugendlichen. »Sonst wäre das gute Stück ja fünfhundertelf Jahre alt.«
»Ich meine, was ich sage. Die Uhr ist noch nicht mal sieben Jahre alt.« Mit ernster Miene fixierte sie ihn. »Weißt du denn nicht, dass ich vor fast genau fünf Jahren durch einen Zeitriss aus dem Jahr des Kometeneinschlags in eure Zeit gestürzt bin?«
»Hab was läuten hören. Hübsche Geschichte. Dein Köfferchen spricht sogar für sie.« Von Leyden zuckte mit den Schultern. »Was aber geht es mich an? Ich besorg dir die Uhr und du gewährst mir drei Nächte. Die erste gleich morgen.«
Jenny antwortete nicht sofort. In ihrem Gesicht arbeitete es.
»Übermorgen«, sagte sie schließlich. Sie wollte Zeit gewinnen, weiter nichts.
»Dafür gibt’s Rabatt – fünf Nächte.«
»Also gut. Du bringst mir übermorgen die Uhr mit und ich gehöre fünf Nächte lang dir.« Damit hatte sie alles auf eine Karte gesetzt. Jetzt konnte sie nichts weiter tun als zu hoffen, dass sie ein
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