1356 - Am Abgrund des Lebens
ist.«
»Das freut uns.«
»Sie flunkern, Mr. Sinclair. Wäre es der Fall, dann würden Sie sich jetzt verabschieden mit dem beruhigenden Gedanken, dass alles in Ordnung ist. Aber daran denken Sie nicht. Sie sind nach wie vor auf eine bestimmte Art und Weise unzufrieden.«
»Das kann ich nicht leugnen.«
»Und was müsste getan werden, um Sie wieder zufrieden zu stellen, meine Herren?«
Suko und ich schauten uns an. Wahrscheinlich verfolgten wir den gleichen Gedanken. Mein Freund Suko nickte mir zu. Er wollte, dass ich die Dinge aussprach.
»Wir wären beruhigter, wenn wir unseren Besuch hier bei Ihnen noch ausdehnen könnten.«
Dr. Turgis sagte nichts. Er schloss sogar für einen Moment den Mund, sodass seine Lippen ein Strich bildeten. »Moment mal, soll das heißen, dass Sie hier die Nacht verbringen wollen, weil Sie mit einer Befreiungsaktion rechnen?«
»Ja, das sehen wir so.«
Der Arzt gab uns keine Antwort. Er blieb in den folgenden Sekunden still, schüttelte aber den Kopf, und dabei hörten wir ihn lachen. Er schauspielerte nicht, er war wirklich von unserem Vorschlag überrascht worden, und das erklärte er auch.
»Sorry, aber damit hätte ich wirklich nicht gerechnet. Tut mir Leid. In meiner gesamten Praxis habe ich noch nie erlebt, dass jemand einen derartigen Vorschlag macht. Sie wollen tatsächlich freiwillig hier in der Klinik übernachten?«
»Ja«, bestätigte Suko. »Allerdings würde es mehr ein Wachen sein.«
»Dann glauben Sie van Akkeren?«
»Wir kennen ihn besser.«
Dr. Turgis wusste nicht, was er sagen sollte. Er ließ dafür seinen Gedanken freien Lauf und meinte dann: »Dieser van Akkeren steht am Abgrund seines Lebens. Für ihn gibt es nichts anderes als nur diese dicken Mauern, die jeden Fluchtversuch unterbinden. Und da glauben Sie diesem Menschen mehr als mir?«
»Das hat mit Glauben nichts zu tun«, sagte ich. »Dahinter stehen Konzepte, die sich aus unserer Erfahrung hervorgebildet haben. Man darf van Akkeren nicht mit normalen Maßstäben messen. So müssen Sie das wirklich sehen.«
»Das weiß ich, Mr. Sinclair. Kein Patient hier ist mit einem normalen Maßstab zu messen. Sie alle sind krank, und zwar seelisch deformiert. Sie wissen ja, wer hier einsitzt. Sie glauben gar nicht, wie viele Drohungen und Versprechungen ich schon von den Leuten hier erhalten habe. Sie alle haben gesagt, dass sie freikommen, aber geschafft hat es noch keiner.«
»Das ist alles klar, Doktor. Aber Sie hatten noch niemals einen Patienten wie eben van Akkeren. Hinter ihm stehen andere Mächte, das müssen Sie uns glauben.«
»Es hört sich sehr kryptisch an!«, hielt er mir vor.
Dr. Turgis wedelte mit der Hand. »Könnten Sie mir vielleicht sagen, von welcher Macht Sie sprechen?«
»Wir könnten es, aber wir möchten Sie nicht überfordern. Wir sind Menschen, die zwar für Scotland Yard arbeiten, aber wir kümmern uns um gewisse Grenzfälle und…«
»Ja, ja, ich weiß Bescheid. Ich habe ja auch Erkundigungen über Sie eingezogen.« Er zeigte auf mich. »So nennt man Sie in gewissen Kreisen den Geisterjäger.«
»Ja, den Namen trage ich.«
Der Arzt lächelte amüsiert. »Gehen Sie dann davon aus, dass van Akkeren von Geistern befreit wird?«
»Nein, davon nicht.«
»Gut. Und Menschen schaffen es nicht.«
»Wir haben auch nicht von Menschen gesprochen«, sagte Suko.
»Daran sollten Sie denken.«
Die Antwort hatte den Arzt leicht durcheinandergebracht. »Gut, von Menschen nicht. Das nehme ich mal so hin. Aber wovon haben Sie denn dann gesprochen?«
Ich wollte ihn nicht unnötig in eine geistige Verlegenheit bringen.
Suko war ebenfalls der Ansicht, denn er schüttelte den Kopf und gab keine Erklärung ab.
»Sie wollen nichts sagen?«
Ich nickte.
»Warum nicht?«
»Weil wir Sie nicht belasten wollen, Doktor, und weil auch noch nichts bewiesen ist.«
»Eben.«
»Aber diese Beweise wollen wir uns endlich holen. Für Sie mag van Akkeren ein Patient wie jeder andere sein. Für uns ist er das nicht, denn er ist mehr. Er ist jemand, der tatsächlich noch Verbindungen hat. Das hat er uns schon öfter bewiesen, und deshalb ist es besser, wenn wir in seiner Nähe bleiben.«
Dr. Turgis nickte. »Nun ja, Sie müssen das wissen. Ich sehe es allerdings anders.«
»Aber Sie sind einverstanden, dass wir die Nacht hier bei Ihnen in der Klinik verbringen?«
»Ja, wenn Sie wollen. Es gibt Gästezimmer. Sie sind allerdings wenig komfortabel.«
»Das macht nichts.«
Der Arzt stand auf. »Gut,
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