1356 - Am Abgrund des Lebens
durch das wir schauen konnten.
Es ließ sich hier sogar öffnen. Nur würde niemand von uns auf diesem Weg nach draußen klettern können. Davon hielten ihn die starken Eisenstücke ab.
»War das eine gute Idee?«, fragte Suko.
»Ich denke schon.«
»Du glaubst van Akkeren also?«
Ich zuckte mit den Achseln. »Was heißt glauben? Er hat zunächst mal nichts aufgegeben, und genau das sollte uns aufhorchen lassen. Er hat sich nicht verändert, obwohl er in seiner Zelle sitzt. Er hätte down sein müssen, doch er ist nach wie vor von sich verdammt überzeugt.«
»Und wie sollte er rauskommen? Du hast die Zelle ebenso gesehen wie ich. Der ist kein Herkules und auch kein Supermann. Einer wie van Akkeren bricht keine Mauern auf.«
»Das muss er auch nicht. Dem Pfleger wird er nicht grundlos etwas von der Gestalt mit der Sense gesagt haben.«
»Ja, schon. Dann müsste der Schwarze Tod unterwegs sein, um ihn aus der Zelle zu holen.«
»Alles deutet darauf hin.«
»Aber welches Interesse sollte er daran haben? Kannst du mir das sagen, John? Van Akkeren ist ein Verlierer, und ich glaube einfach nicht, dass sich der Schwarze Tod gern mit Verlierern umgibt. Der sucht sich andere Helfer aus.«
»Kann sein.«
»Wer dann?«
Ich schüttelte den Kopf, weil ich es nicht wusste. Bei mir war dieses bedrückende Gefühl zurückgeblieben, und das verschwand auch nicht. Wir wollten nicht länger als nötig hier im Zimmer bleiben, doch bevor wir mit unserer Suche anfingen, wollte ich noch bei Jane Collins anrufen. Auch hatte ich durch Justine Cavallo einen vagen Verdacht bekommen. Es konnte durchaus sein, dass sich dieser Verdacht erhärtet hatte.
Ich erreichte sie in ihrem Haus.
»Langweilig?«, fragte ich.
»Ja, und bei euch?«
»Ach, es geht so.«
»He, ihr seid in der Klinik.«
»Genau.«
»Was ist mit dem Grusel-Star?«, fragte sie hastig.
Lachend erwiderte ich: »Na ja, was soll sein? Unser Freund sitzt in seiner Zelle, aus der er sich nicht befreien kann. Das haben wir mit eigenen Augen festgestellt.«
»Hört sich schon gut an. Aber wie hat er auf euer Kommen reagiert?«
Ich berichtete ihr davon, und ich sagte ihr auch, dass er zu einem Wrack geworden war und sich dies auch später in der Zelle nicht geändert hatte. Er sah noch immer so aus wie bei seiner Einlieferung.
»Und trotzdem hat er nicht aufgegeben, was jeder normale Mensch getan hätte, oder?«
»Richtig. Aber van Akkeren ist kein normaler Mensch. Er glaubt zudem an seine Befreiung.«
»Und ihr?«
»Ha, das ist die große Frage. Wir sind unsicher und wollen auch nichts falsch machen. Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, die Nacht über in der Klinik zu bleiben.«
»Also Wache halten.«
»So ungefähr.«
»Na ja, was Wahres ist es auch nicht. Dann bleibe ich lieber hier im Haus und dreh Däumchen.«
»Ausgerechnet du. Aber was ist mit Justine Cavallo? Hat sich ihre Unruhe gelegt?«
»Nein.«
»Kann ich sie sprechen?«
»Sie ist nicht da. Und sie hat auch nicht gesagt, wohin sie gegangen ist. Sie führt ein Eigenleben.«
»Möglicherweise hat van Akkeren doch Recht.«
»Was meinst du damit, John?«
»Dass die Gestalt mit der Sense unterwegs ist, um ihn rauszuholen. Aber das wird sich noch herausstellen. Ich kann mir sogar vorstellen, dass in der kommenden Nacht etwas passiert.«
»Klasse«, sagte Jane. »Wäre es da nicht besser, wenn ich bei euch erscheinen würde? Sechs Augen sehen schließlich mehr als vier. Das weißt du selbst.«
»Noch ist alles zu vage. Lass uns mal diesen Job allein machen.«
»War nur ein Vorschlag, nicht mehr.«
»Bis dann, Jane.«
Sie hatte es ja wirklich gut gemeint, aber bisher liefen wir einem Schatten nach, und wir hofften, dass daraus mal eine Gestalt werden würde, mit der wir etwas anfangen konnten.
Suko stand vor dem Fenster. Er drehte mir den Rücken zu. Ob er dabei entspannte oder nur interessiert nach draußen schaute, war nicht festzustellen.
Ich fragte ihn trotzdem: »Hast du was oder wen entdeckt?«
Er drehte sich zögerlich um. »Ich bin mir nicht sicher. Natürlich habe ich draußen Menschen gesehen, aber sie bewegten sich völlig normal. Da konnte kein Verdacht geschöpft werden.«
»Sollen wir uns trotzdem umschauen?«
»Aber sicher.«
»Dann komm, bevor es ganz dunkel wird…«
***
Völlig dunkel war es noch nicht, aber das spielte für Boris Nolan keine Rolle. Er hatte sich in seinem neuen »Leben« zurechtgefunden, und er würde auch so weitermachen.
Vor dem Verlassen der
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