1356 - Am Abgrund des Lebens
seines Körpers, das seltsame Gehen, das mehr ein Tappen war; all das gefiel ihm nicht so recht, denn es zeigte ihm, wie schwach er noch war.
Und deshalb gehorchte er seiner inneren Stimme und blieb in seiner Hütte versteckt.
Stundenlang lag er auf dem Boden. Er quälte sich selbst. Er brauchte das Blut. So lange der frische Menschensaft nicht in seinen Adern floss, war mit ihm nichts los. Da hätte ihn sogar ein Kleinkind umbringen können.
Aber sein Zustand hielt nicht an. Je mehr Zeit verstrich, desto stärker trat die Veränderung ein. Er spürte, dass das Licht des Tages allmählich verblasste. Draußen zog sich langsam der Schleier der Dämmerung zusammen.
Boris fühlt sich besser.
Die Gier war nach wie vor ungebrochen vorhanden, aber die Schwäche hatte sich zurückgezogen. In seinem Körper rieselte die neue Kraft, und darauf setzte er.
Seine Bewegungen gelangen ihm jetzt besser. Sie wurden flüssiger.
Er konnte sie nicht mehr als abgehackt bezeichnen, und mit einem kräftigen Schwung richtete er sich auf, sodass er in der sitzenden Haltung blieb und sich so auch umschauen konnte.
Die Nacht war noch nicht da, aber die Helligkeit und auch die Kraft des Tages hatten sich zurückgezogen. Bis zur Dunkelheit war es nicht mehr weit.
Dann würde es ihm noch besser gehen, und darauf freute er sich.
Er wollte endlich an seine Nahrung heran.
Mit dem nächsten Ruck kam er auf die Beine!
Er schaukelte noch kurz nach, dann stand er und reckte sich. Die Arme streckte er dabei in die Höhe, und aus seinem Mund drang ein tiefes Stöhnen, dass sich schon wohlig anhörte.
Boris hat es geschafft! Die neue Kraft war da. Er konnte das neue Leben genießen.
Seinen Mund hatte er geöffnet. Er legte den Kopf leicht zurück und fühlte nach seinen Zähnen. Obwohl ihm niemand gesagt hatte, was er zu tun hatte, wusste er doch sehr genau, in welchen Teil des Menschen er sie hineinschlagen wollte.
In den Hals!
Da würde das Blut sprudeln, und daran konnte er sich satt trinken. Er würde zahlreiche Brüder bekommen, denn er kannte den Weg zu den Zellen. In jeder befand sich genügend Nahrung für ihn.
Dieses Haus war ein einziges Reservoir voll Blut.
Bis zur Hüttentür ging er vor und öffnete sie behutsam, um den ersten Blick ins Freie zu werfen.
Ja, da hatte sich schon einiges verändert. Die Helligkeit des Tages war verschwunden. Vom Himmel war der gewaltige Schleier der Dämmerung gefallen und hatte sich um den kleinen Park und auch um das Haus gewickelt. Die ersten Laternen verbreiteten einen Lichtschein, der ihn nicht interessierte. Ihn würde er auf seinem Weg in die Klinik meiden. Allerdings gefiel es ihm nicht, dass er den normalen Eingang nehmen musste. Den Schlüssel zum Seiteneingang besaß er leider nicht. Den hätte er sich vorher holen sollen.
Aber auch das war zu überstehen. Wenn er das Haus mal betreten hatte, sah alles ganz anders aus. Da konnte er wüten, da würde er sich auf die Menschen stürzen und ihr Blut trinken.
Mit diesen Gedanken und getrieben von der Gier verließ er seine Holzhütte…
***
Der Arzt hatte uns bis in den kleinen Raum geführt und mit leicht belegter Stimme gesagt: »Das ist es also.«
Wohl war ihm bei dieser Vorstellung nicht gewesen, aber was sollte es? In einem Haus wie diesem konnten wir kein Luxuszimmer erwarten.
An der offenen Tür blieb Dr. Turgis stehen. »Darf ich fragen, was Sie jetzt vorhaben?«
Suko, der sich auf ein Bett gesetzt hatte, nickte ihm zu. »Ja, das dürfen Sie. Wir werden zunächst nur die Augen offen halten, und Sie werden uns kaum bemerken. Der Ablauf in der Klinik wird durch uns nicht gestört werden.«
Die Antwort gefiel dem Arzt, denn er sagte: »Das hört sich schon beruhigend an.«
»Finden wir auch.«
»Sie werden also durch die Klinik gehen.«
»Nicht nur das«, sagte Suko. »Wir schauen uns auch draußen um. Schließlich wollen wir gewappnet sein, wenn es so weit ist.«
»Bitte, Inspektor. Es wird nicht dazu kommen, das sage ich Ihnen.«
»Abwarten.«
Dr. Turgis hielt die Klinke noch immer fest. »Gut, dass Sie gesagt haben, wo Sie sich umschauen wollen. Ich werde am Eingang Bescheid geben, dass man Sie durchlässt.«
»Danke.«
Dr. Turgis nickte in das Zimmer hinein. »Dann werde ich meiner Arbeit nachgehen, und ich denke auch, dass wir uns weiterhin über den Weg laufen werden.«
»Bestimmt.«
Der Arzt zog sich zurück. Im Zimmer gab es ein kleines Waschbecken, einen Spind und zwei Stühle. Und natürlich ein Fenster,
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