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an. Sein ganzer Körper erschauerte.
«Du bist verdammt weit weg von zu Hause, Bruder», sagte der Mann, der einen großen Kriegsbogen über seiner muskulösen Schulter hängen hatte. Er beugte sich zu dem Angreifer des Mönchs hinunter, zog ein Messer und schnitt dem Mann den Pfeil aus dem Hals, wobei er ihn tötete. «Pfeile sind hier schwer zu bekommen», erklärte er, «also versuchen wir, uns möglichst viele zurückzuholen. Falls du welche siehst, sammle sie ein.»
Michael strich sich das weiße Gewand glatt, dann betrachtete er das grobe Abzeichen auf dem Wappenrock seines Retters. Es zeigte ein seltsames Tier, das eine Schale in den Klauen hielt. «Du dienst …», fing er an.
«Dem Bastard», unterbrach ihn der Mann. «Wir sind die Hellequin, Bruder.»
«Die Hellequin?»
«Die Seelen des Teufels», sagte der Mann mit einem Grinsen, «und was zum Teufel hast du hier verloren?»
«Ich habe eine Mitteilung für deinen Herrn,
le Bâtard
.»
«Dann gehen wir ihn suchen. Mein Name ist Sam.»
Der Name passte zu dem Bogenschützen, der ein jungenhaftes, fröhliches Gesicht und ein bereitwilliges Lächeln besaß. Er führte den Mönch an einer Kirche vorbei, die er mit zwei anderen Hellequin bewacht hatte, weil sich ein paar Stadtbewohner in das Gotteshaus geflüchtet hatten. «Der Bastard lehnt Vergewaltigungen ab», erklärte er.
«Und das ist auch recht so», gab Michael pflichtbewusst zurück.
«Genauso gut könnte er den Regen ablehnen», sagte Sam heiter und ging voran auf einen größeren Platz, auf dem sich ein halbes Dutzend Reiter mit gezogenen Schwertern bereithielten. Sie trugen Kettenhemd und Helm und den Wappenrock des Bischofs, und hinter ihnen war der Chor, etwa zwanzig Jungen, die einen Psalm intonierten.
«Domine eduxisti»
, sangen sie,
«de inferno animam meam vivificasti me ne descenderem in lacum.»
«Er würde wissen, was das heißt», sagte Sam, klopfte sich auf den Wappenrock und meinte offenkundig
le Bâtard
.»
«Es heißt, dass Gott unsere Seelen aus der Hölle geführt hat», sagte Bruder Michael, «und uns das Leben geschenkt hat und uns vor der Grube bewahren wird.»
«Das ist sehr freundlich von Gott», sagte Sam. Er verbeugte sich nebenbei vor den Reitern und führte die Hand an seinen Helm. «Das ist der Bischof», erklärte er, und Bruder Michael sah einen großen Mann, dessen düsteres Gesicht von einem Helm aus Stahl umrahmt war und der unter einem Banner im Sattel saß, das einen Bischofsstab und die Kreuze zeigte. «Er wartet darauf», erklärte Sam, «dass wir das Kämpfen erledigen. Das machen sie alle. Komm und kämpf mit uns, sagen sie, und dann schütten sie sich zu, während wir das Töten erledigen. Allerdings werden wir ja auch dafür bezahlt. Pass jetzt auf, Bruder, es wird gefährlich.» Er nahm den Bogen von der Schulter, führte den Mönch durch eine Gasse und blieb an ihrem Ende stehen. Er spähte vorsichtig vor. «Verdammt gefährlich», fügte er hinzu.
Bruder Michael, fasziniert und abgestoßen zugleich von dem Gemetzel in der Stadt, beugte sich an Sam vorbei und stellte fest, dass sie den höchsten Punkt der Stadt erreicht hatten und am Rand eines weitläufigen Platzes standen, vielleicht an einem Marktplatz, und auf der gegenüberliegenden Seite sah er eine Straße, die, aus schwarzem Fels herausgehauen, zum Burgtor führte. Am Torhaus, das im Licht der von der Stadt herauflodernden Brände lag, hingen große Banner. Einige erbaten die Hilfe der Heiligen, andere zeigten das Wappen mit dem goldenen Falken. Ein Armbrustbolzen raste an die Mauer neben dem Priester und rutschte dann klappernd über das Pflaster der Gasse. «Wenn wir die Burg bis morgen vor Sonnenuntergang erobern», sagte Sam und legte einen Pfeil ein, «wird unser Geld verdoppelt.»
«Verdoppelt? Warum?»
«Weil morgen der Tag von Sankt Bertille ist», sagte Sam, «und weil die Frau unseres Auftraggebers Bertille heißt, ist der Fall der Burg ein Beweis dafür, dass Gott auf unserer Seite ist und nicht auf der Seite des Gegners.»
Dies schien Bruder Michael eine äußerst anfechtbare Theologie zu sein, aber er widersprach nicht. «Ist sie die Frau, die weggelaufen ist?»
«Dafür kann ich ihr keinen Vorwurf machen. Er ist ein Schwein, der Comte de Labrouillade, aber Ehe ist Ehe, oder? Und es muss erst einen kalten Tag in der Hölle geben, bevor sich eine Frau ihren Gemahl selbst aussuchen kann. Trotzdem habe ich Mitleid mit ihr, weil sie mit so einem Schwein verheiratet ist.»
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