Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1356

1356

Titel: 1356 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
Vom Netzwerk:
noch nie gesehen, was Männer taten, wenn sie sich in den Rausch der Gewalt stürzten, und deshalb ging er weiter und vertraute auf Gott und auf seinen kräftigen Pilgerstab, den er den ganzen Weg von Carlisle bis hierher getragen hatte.
    Die meisten Feuer brannten um das westliche Stadttor, und ihre Flammen beleuchteten die massige Burg, die im Osten den Hügel krönte. Es war die Burg des Comtes de Villon, das hatte ihm der Abt bei Paville erklärt, und der Comte de Villon wurde von Söldnern belagert, die der Bischof von Lavence und der Comte de Labrouillade angeheuert hatten und die befehligt wurden von
le Bâtard
.
    «Und worum geht es bei dem Streit?», hatte Bruder Michael den Abt gefragt.
    «Um zwei Dinge», hatte der Abt geantwortet und dann innegehalten, bis ihm ein Diener Wein eingeschenkt hatte. «Der Comte de Villon hat einen Karren mit Fellen beschlagnahmt, der dem Bischof gehörte. Jedenfalls behauptet der Bischof das.» Er verzog das Gesicht, denn der Wein war jung und sauer. «In Wahrheit ist Villon ein gottloser Patron, und der Bischof hätte gern einen neuen Nachbarn.» Er zuckte mit den Schultern, als müsse er zugeben, dass dieser Teil der Auseinandersetzung allzu banal war.
    «Und die zweite Sache?»
    Der Abt wartete einen Moment, bevor er antwortete. «Villon hat dem Comte de Labrouillade die Frau weggenommen», sagte er schließlich.
    «Ah.» Bruder Michael wusste nicht, was er sonst sagen sollte.
    «Männer sind immer streitlustig», hatte der Abt gesagt, «aber wenn es um Frauen geht, werden sie noch schlimmer. Man muss nur einmal an Troja denken! All diese Männer, die dort für ein einziges hübsches Mädchen umgebracht wurden!» Er sah den jungen englischen Mönch mit großem Ernst an. «Frauen haben die Sünde in die Welt gebracht, Bruder Michael, und das tun sie noch immer. Sei dankbar, dass du Mönch bist und Keuschheit gelobt hast.»
    «Dank sei dem Herrn!», hatte Bruder Michael gesagt, jedoch ohne große Überzeugung.
    Und nun herrschten in Villon Feuer und Tod, und all das wegen einer Frau und einer Karrenladung Felle. Bruder Michael ging über die Talstraße auf die Stadt zu, überquerte eine Steinbrücke und kam so zum westlichen Stadttor, wo er stehen blieb, denn die Tore waren von einer derartig gewaltigen Kraft aus dem steinernen Torbogen gerissen worden, dass er sich nichts vorstellen konnte, was dazu imstande wäre. Die Angeln waren aus Eisen geschmiedet und mit Eisenbändern an den Torflügeln befestigt gewesen. Diese Eisenbänder waren länger als der Krummstab eines Bischofs, breiter als eine Männerhand und daumendick, und doch hingen die beiden Torflügel nun schief, ihre Balken waren verkohlt und gesplittert, und die massiven Angeln hatten sich zu grotesken Windungen verzogen. Es war, als hätte der Teufel persönlich seine grässliche Riesenfaust durch den Torbogen gerammt, um einen Weg in die Stadt frei zu machen. Bruder Michael bekreuzigte sich.
    Er schob sich an den angekohlten Torflügeln vorbei und blieb sofort wieder stehen, denn direkt hinter dem Torbogen brannte ein Haus, und auf der gegenüberliegenden Straßenseite lag in einem Hauseingang die Leiche einer jungen Frau, bäuchlings und splitternackt, und über ihre weiße Haut zog sich ein Gittermuster aus Blutrinnsalen, die im Licht der Flammen vollkommen schwarz aussahen. Der Mönch blickte die Frau mit gerunzelter Stirn an und fragte sich, warum die Form eines Frauenrückens so erregend wirkte, und dann schämte er sich dafür, einen solchen Gedanken gehabt zu haben. Er bekreuzigte sich erneut. Der Teufel, dachte er, war an diesem Abend überall, aber ganz besonders in dieser brennenden Stadt unter den flammengefärbten Höllenwolken.
    Zwei Männer, der eine in einem ramponierten Kettenhemd, der andere in einem losen Lederwams und beide mit Messern bewaffnet, stiegen über die tote Frau. Der Anblick des Mannes auf der Straße ließ sie zusammenzucken, und sie wandten sich ihm angriffsbereit und mit weit aufgerissenen Augen zu, doch dann erkannten sie das schmuddelige weiße Gewand, sahen das Holzkreuz um den Hals Bruder Michaels und rannten auf der Suche nach reicheren Opfern davon. Ein dritter Soldat übergab sich in den Rinnstein. Ein Dachbalken stürzte in ein brennendes Haus und verbreitete eine Druckwelle aus heißer Luft und wirbelnden Funken.
    Bruder Michael ging die Straße hinauf, machte dabei einen Bogen um die Leichen, und dann sah er einen Mann neben einem Regenfass sitzen, der versuchte, die

Weitere Kostenlose Bücher