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zwischen den Bäumen und duckte sich unter niedrigen Ästen hindurch. Er glaubte, hinter sich Hufschlag zu hören, doch er sah nichts. Sein Herz raste auf eine Art, wie es bei den Turnieren niemals geschah. «Reite voraus», sagte er zu seinem Knappen Michel, «stelle fest, wem der Turm gehört, und bitte um Obdach. Los! Los!»
Roland sagte sich, dass es nicht Thomas sein konnte, der ihn verfolgte. Wenn Thomas aus Montpellier entkommen war, dann musste er südlich von Roland sein, nicht nördlich, oder? Möglicherweise wurde er überhaupt nicht verfolgt. Möglicherweise waren die Männer auf einer unschuldigen Reise, doch warum waren sie dann bewaffnet? Warum trugen sie dann Helme? Die Hufschläge seines Pferdes klangen dumpf auf dem Blättermulch. Dann ritten sie durch einen seichten Fluss und in leichtem Galopp an einem kümmerlichen Weinberg vorbei. «Die Männer von Thomas nennen ihre Pfeile den Stahlhagel des Teufels», sagte Genevieve.
«Schweigt!», zischte Roland, seine Höflichkeit vergessend. Zwei Männer des Comtes ritten dicht bei Genevieve, um dafür zu sorgen, dass sie sich nicht vom Pferd fallen ließ. Roland kam auf eine leichte Anhöhe, sah sich um und entdeckte keine Verfolger, dann war er über die niedrige Kuppe hinweg und sah ein Dörfchen vor sich und knapp dahinter den Turm einer halb eingestürzten Kirche. Die Sonne war nun beinahe untergegangen, und der Turm lag im Schatten. Bei der Kirche war kein Licht zu sehen.
Die Pferde donnerten durch das Dorf, scheuchten Federvieh, Hunde und Ziegen auf. Die meisten Häuser waren verlassen, die Strohdächer altersschwarz oder eingefallen, und Roland wurde bewusst, dass dieses Dorf von der Pest heimgesucht worden sein musste. Er bekreuzigte sich. Eine Frau riss ihr Kind vor den Pferden weg. Ein Mann rief ihnen eine Frage zu, doch Roland beachtete ihn nicht. Er stellte sich den Stahlhagel des Teufels vor. Stellte sich vor, wie die Pfeile aus dem Zwielicht herabjagten, um Männer und Pferde niederzumetzeln, und dann stand er auf einem kleinen Friedhof, und einer seiner Männer hatte in dem halb eingestürzten Kirchenschiff die Treppe gefunden, die in den alten Glockenturm führte. «Er ist leer», rief der Mann.
«Hinein», befahl Roland.
Und so betrat Roland im Dämmerlicht den düsteren Turm.
Sieben
A ls Thomas, Keane und ihr Gefangener bei der Mühle eintrafen, fanden sie Karyl und neun weitere Waffenknechte kampfbereit vor. Alle trugen ihre Rüstungen, die Pferde waren gesattelt, und sie waren unruhig. «Wir wissen, was mit Genevieve geschehen ist», lautete Karyls Begrüßung.
«Woher?»
Karyl deutete mit einer Kopfbewegung auf einen Mann, der keine Bewaffnung trug, sondern nur Hose, Hemd, Stiefel und einen Umhang. Der Mann war bei Thomas’ Anblick zurückgewichen, doch Thomas trabte auf ihn zu. «Passt auf diesen Bastard auf», befahl er Karyl über die Schulter und deutete auf Pitou. «Wenn er Ärger macht, verpass ihm ein paar Hiebe.» Er zügelte sein Pferd vor dem widerstrebenden Mann und blickte in ein sehr ängstliches Gesicht. «Was ist mit Eurem Mönchshabit passiert?», fragte er.
«Ich habe ihn noch», sagte Bruder Michael.
«Und warum tragt Ihr ihn dann nicht?»
«Weil ich kein Mönch sein will!», begehrte Bruder Michael auf.
«Er hat uns die Nachricht gebracht», sagte Karyl. «Er hat erzählt, dass Genevieve gefangen wurde und man Euch jagt.»
«Sie haben Genevieve», bestätigte Thomas.
«De Verrec?»
«Ich vermute, er bringt sie nach Labrouillade.»
«Ich habe die übrigen Männer nach Castillon geschickt», sagte Karyl, «und Sire Henri ausrichten lassen, er möge uns wenigstens vierzig Mann nachschicken. Das war sein Vorschlag.» Er nickte zu Bruder Michael hinüber.
Thomas betrachtete den Mönch. «Euer Vorschlag?»
Bruder Michael sah ängstlich zu dem Hügel hinauf, als suchte er nach einem Platz, an dem er sich verstecken konnte. «Es schien mir vernünftig», sagte er schließlich.
Thomas war dagegen nicht so sicher, ob es sich um einen vernünftigen Vorschlag handelte. Er hatte zehn Männer, zwölf, wenn man den unwilligen Studenten und den noch unwilligeren Mönch mitzählte, und sie würden Roland de Verrec verfolgen, während die Männer aus Castillon d’Arbizon in einem feindlich gesinnten Land nach Thomas suchten. Es konnte verhängnisvoll ausgehen, wenn eine der beiden kleinen Gruppen auf einen größeren gegnerischen Verband traf. Aber wenn es ihnen gelang, sich zusammenzuschließen? «Es war
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