136 - Zigeunerspuk
Gedanken hatte er den Wesir schon abgeschrieben. Fayaz al Akbar ging alles zu ungestüm an. Er wollte den Erfolg erzwingen. Das aber konnte nicht gut sein.
Dämonen waren außerordentlich langlebig. Al Akbar hätte warten können. Es würden sich bessere Konstellationen ergeben. Er selbst, d'Arcy konnte warten.
Er verließ Orleans und fuhr in Richtung Lamballe. Er war sicher, daß er den schwarzen Wesir rasch aufspürte. Und der würde genug mit Hunter zu tun haben und sich nicht um d'Arcy kümmern können. D'Arcy kam nicht, um dem schwarzen Wesir zu helfen, sondern um Zeuge seines Kampfes zu werden - seines Sieges oder seines Untergangs.
Dorian stoppte den Range Rover außer Sichtweite des Ferienhauses. „Den Rest des Weges werde ich zu Fuß zurücklegen", sagte er.
„Nicht nur du", brummte Raffael Amalfi grimmig. „Du weißt doch: Wir kommen mit. Allein wirst du nicht fertig."
„Es wäre besser, wenn wir eine mondlose Nacht hätten", behauptete Andrej. „Dann könnten wir uns ungesehen anschleichen."
Dorian schüttelte den Kopf. „Er würde uns trotzdem spüren. Wir müssen versuchen, ihn herauszulocken, und eine Falle vorbereiten."
„Und wie, bitte sehr?"
Dorian überlegte. Plötzlich zündete der Gedankenblitz.
„Ich werde ihn ablenken", sagte er. „Er wird keine Gelegenheit haben, auf einen von euch zu achten. Und dann… "
Er erklärte den Plan, der blitzschnell hinter seiner Stirn entstanden war. Die Zigeuner sahen sich an, dann nickten sie. Raffael zeigte auf Andrej. „Du nimmst den Kanister. Los geht's…"
Dorian wartete bis die Zigeuner verschwunden waren. Sie hatten einen längeren Weg vor sich als er, und einen beschwerlicheren. Sie mußten das Haus umgehen, um von verschiedenen Seiten her zu kommen. Dorian sah ihnen nach. Nach etwa zehn Minuten ließ er den Motor wieder an und rollte auf das Haus zu. Ein schmaler unbefestigter Weg führte von der Straße ab direkt darauf zu.
Der schwarze Wesir schien eine Vorliebe für abseits der Straße gelegene Bauwerke zu haben, überlegte Dorian. Die ausgebrannte Ruine war ein ähnlicher Fall gewesen.
Dorian fuhr bis auf zwei Dutzend Meter heran. Da blieb der Motor seines Wagens von einem Moment zum anderen stehen. Er war entdeckt. Der schwarze Wesir ließ seine Magie bereits wirken. Immerhin nährte es Dorians Hoffnung, daß die Zigeuner jetzt unbeachtet herankommen konnten. Der Wesir rechnete nur mit Dorians Erscheinen.
Dorian zog die Handbremse fest und stieg langsam aus dem Wagen. Er starrte zum Haus hinüber. Seine Hand schloß sich um die gnostische Gemme, die er an der Halskette trug. Was würde der Wesir als nächstes tun? Schlug er aus der Ferne zu?
Oder würde er sich den Triumph gönnen, Dorian gegenüberzutreten?
Dorian wußte, daß der Dämon ihn bereits jetzt töten konnte. Aber er rechnete mit der Eitelkeit des Wesirs. Er würde mit Dorian spielen, um seine Macht zu beweisen. Er würde die Katze sein, und Dorian die Maus. Und Dorian mußte das schier unmögliche Kunststück fertigbringen,
Hund im Mausefell
zu spielen, um mit der
Katze
fertig zu werden.
Dorian entfernte sich einige Schritte vom Wagen. Was er tat, war Wahnsinn. Er fühlte sich hilflos und verletzlich. Die Gemme konnte ihn nicht schützen, wenn der Wesir zuschlug.
Die Tür des Hauses öffnete sich. Eine finstere Gestalt trat ins Freie. Der Wesir zeigte sich in seiner wahren Gestalt.
Dorian überlegte, ob er die Pistole benutzen sollte. Aber der Wesir war zu weit entfernt für einen sicheren Schuß. Die fünfzig Meter waren zu weit.
Fayaz al Akbar hob die Hand.
„Dorian Hunter", sagte er. „Du bist sicher, daß du mich töten kannst, nicht wahr? Aber du wirst es nicht tun. Ich habe etwas für dich. Schau."
Er klatschte in die Hände und trat beiseite.
Hinter ihm erschienen zwei Sklaven. Sie zerrten ein gefesseltes Mädchen mit sich. Dorian kannte es nicht. Aber er begriff, daß es eine Geisel war. Da erst wurde ihm klar, daß der Wesir kaum weniger unsicher über den Ausgang des Kampfes war als Dorian selbst. Fayaz al Akbar fürchtete die Stärke und die Tricks des Dämonenkillers! Er hatte sich auf diese Weise rückversichert.
Ich wußte, daß du kommst, Dorian Hunter", sagte der Wesir. „Deshalb dachte ich mir, daß ich dich überraschen müßte. Wie ich sehe, ist es mir gelungen. Ich werde dieses Mädchen töten - sofern du nicht aufgibst. Du wirst dich von all deinen Waffen trennen und dann zu mir kommen."
„Nein", sagte Dorian. „Ich traue dir
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