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137 - Der trojanische Barbar

137 - Der trojanische Barbar

Titel: 137 - Der trojanische Barbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael M. Thurner
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aus seinem Mund, als hätte er sein Lebtag lang nie anders gesprochen.
    Auch fühlte er diesmal jenen unterschwelligen Widerwillen gegen Will Kemp als Tittany, sein Eheweib, in keiner Situation. Im Gegenteil: Der glücklich lächelnde, zart gebaute Mann lag leicht in seiner Hand, während er ihn führte. Will bewegte sich stets grazil und natürlich. So wie Rulfan es bei einem weiblichen Geschöpf gern hatte.
    Eine besondere Form der Magie lag in der Luft.
    Unbeschwertheit in Geist und Körper hatte sie erfasst, vom einfachsten Komparsen bis zu Ritch Burbetsh, der den Liebhaber Leisandir mit einer nie geahnten Inbrunst spielte.
    Wann immer sich die Gelegenheit ergab, spähte Rulfan zum Long Man. Während der gesamten Vorstellung zuckten grelle Lichtblitze von den Umrissen der archaischen Gestalt hoch in den Himmel. Zwei Fackeln staken dort, wo die Augen sein mussten. Vollkommen ruhig brannten sie, stierten scheinbar ebenso zur Bühne wie die fünfzig, sechzig Gestalten unter ihren Kutten.
    Auch wenn sich die Vermummten nicht rührten und keinerlei Anteilnahme zeigten – es war zu spüren, dass sie ihrem Spiel konzentriert folgten.
    Doch wie würde das Urteil ausfallen? Würde es Mutter Wendell, der Anführerin dieses seltsamen Haufens, gefallen, was sie hier darboten?
    Einerlei.
    Rulfan war gefangen in seiner Rolle als Faeren-König, füllte sie aus wie niemals zuvor. Diese Nacht – er hoffte, sie würde nie vergehen…
    »Hüpfen wir denn, Königin«, deklamierte er laut, »Schweigend nach den Schatten hin! Schneller als die Monde kreisen, Können wir die Erd’ umreisen…«
    (4. Aufzug, 1. Szene)
    Er umfasste Will Kemp, der Tittany war, an der Hüfte, und hörte aufmerksam zu, wie er/sie ihm antwortete. Gemeinsam, Arm in Arm, gingen sie schließlich von der Bühne, Robin Goodfellow als Kobold im Schlepptau.
    Eine letzte Szene war ihnen geblieben. Nicht viel mehr als wenige Schlussworte, in vielleicht einer Viertelstunde.
    »Was meint Ihr, Master Rulfan?«, fragte Will Shag, der hinter der Bühne auf sie wartete und sich vergnügt die Hände rieb. »Ich würde sagen, dass diese Aufführung unsere bisher beste ist.«
    »Ich genieße es!«, erwiderte Rulfan überschwänglich. »Ich wusste wirklich nicht, was diese Kunst in einem Menschen auslösen kann.«
    Shag lachte leise. »Genießt den Moment, teurer Freund. Morgen, wenn wir erwachen und die Sonne wieder über den Himmel kriecht, mag Euch alles, was soeben passiert, als lächerlicher Humbug vorkommen. Denn die so genannte Wirklichkeit – sie tötet alles, was wir hier drinnen erträumen und ersinnen.« Er deutete auf seine Stirn.
    »Ich rate Euch: Behaltet diese Stunden gut in Erinnerung. Vergesst nie, was Euch der alte Will Shag zeigen wollte. Fantasie ist alles, was uns am Ende bleibt. Und sie ist auch, was uns ausmacht.«
    Der träumerische Blick, scheinbar in endlose Ferne gerichtet, kehrte abrupt zurück. »Es wird Zeit für Euch, Master Rulfan. Beenden wir das Schauspiel.« Er drängte den Albino in Richtung der festen und bemalten Stoffe, die den Hintergrund der Bühne markierten. Zugleich winkte er Will Kemp und Robin Goodfellow herbei.
    Ihr Stichwort erklang. Zu dritt traten sie nach vorne. Es bedurfte keines Nachdenkens. Die Worte und Reime, sie drängten wie von allein von Rulfans Lippen.
    Der Vollmond hatte den höchsten Punkt seiner Reise erreicht, Long Man war in silbernes, übernatürlich helles Licht getaucht. Die Kuttensäume der merkwürdigen Zuseher wehten in plötzlich aufkommendem Wind zur Seite. Da und dort wurde ein bleiches, ätherisch weich gezeichnetes Gesicht hinter einem Kapuzenrand ersichtlich.
    Sie sind… hübsch, dachte Rulfan, übernatürlich schön.
    Er deklamierte die letzten Strophen, nahm Tittany bei der Hand und schritt langsam auf eine hölzerne Tafel zu, die den Eingang zum Königreich der Faeren andeutete. In diesem Moment war er Obron. So wie es Will Shag immer von ihm verlangt hatte.
    Robin Goodfellow trat an den Bühnenrand vor und begann plötzlich mit erschreckender Kraft zu hüpfen und zu tanzen.
    Mit einem Gleichmut, der beeindruckend und Angst erregend war, rezitierte er gleichzeitig die Schlussworte, ohne dabei außer Atem zu kommen. Seine abgehackten Bewegungen und die wilden, abrupten Sprünge bildeten einen seltsamen Kontrast zum sonst gemächlichen Tempo des Schauspiels.
    »Und merket auf! Ihr alle schier«, rief er in Stakkato-Tempo, »Habet nur geschlummert hier Und geschaut in Nachtgesichten Eures eignen

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