137 - Der trojanische Barbar
Waffe. Hob sie, visierte den Rücken des Wächters an…
... und senkte sie wieder. Er konnte den armen Teufel doch nicht einfach über den Haufen schießen, nur weil er seine Pflicht tat!
Jenseits des Palisadenzaunes klang Lärm auf. Kurz empfand Rulfan so etwas wie Hochachtung vor den Männern, die rasch und effizient agierten. Er konnte bereits das Brummen und Fauchen eines EWATs hören, der für den Einsatz bereit gemacht wurde. Disziplin und Moral der Truppen mussten intakt sein – was ihm in der derzeitigen Situation ordentlich gegen den Strich lief.
»Bleib hier«, bat ihn Eve ruhig. »Sprich mit deinem Vater. Es wird sich alles aufklären.«
»Niemand wird mir glauben«, entgegnete Rulfan kopfschüttelnd, »nicht einmal er!« Er wandte sich ab, lief in die Richtung zurück, aus der er gekommen war.
Unruhe breitete sich aus. Auch im kleinen Lager der Schausteller sah man neugierig herüber, während er den Palisadenzaun entlang hetzte.
Alles falsch, falsch, falsch!, dachte Rulfan. Er nutzte die kleinste Deckung aus, kämpfte sich keuchend den Hang hinauf.
Du hirnloser Idiot, du hast es schon wieder vermasselt!
Er erreichte die Kuppe des Hanges, kroch unter der dornigen Hecke hindurch, die er zuvor als Sichtdeckung benutzt hatte.
Chira winselte leise in dem Sack, den er sich auf den Rücken gebunden hatte, doch darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen. Er musste den Wald erreichen, bevor der EWAT in der Luft war! Diesmal standen seine Chancen zu entkommen bedeutend schlechter. Da war kaum noch Schnee, unter dem er sich verbergen konnte, und die Laubbäume waren kahl.
Ein Schatten fiel auf ihn. Breit und eckig, und nur allzu gut bekannt.
Lautlos schwebte der EWAT über ihm, nahm ihn ins Visier.
»Bleiben Sie stehen, Sir!«, schallte eine Stimme über den Außenlautsprecher. »Sie sind verhaftet, im Namen des Octaviats von Salisbury. Bitte leisten Sie keinen Widerstand…«
»Lasst mich in Ruhe!«, brüllte Rulfan, zornig auf sich und seine Unvorsichtigkeit. Er rannte weiter, schlug Haken, ohne auch nur einen Moment daran zu glauben, eine Chance zu haben. Er lief, bis er seinen ganzen Zorn und Frust abreagiert hatte und schließlich nur noch taumelte. Erschöpft, atemlos, leer gebrannt.
Der EWAT landete, nur wenige Meter entfernt. Zischend öffnete sich die Heckluke. Sechs Infanteristen in gefechtsmäßiger Ausrüstung hetzten herbei, richteten die Strahler auf ihn.
Rulfan ließ sich erschöpft zu Boden sinken und warf vorsichtshalber seine Waffe beiseite. Er nahm sich Zeit, die Frauen und Männer zu mustern, wie sie da standen, die Zeigefinger nervös um die Abzüge ihrer Gewehre gespannt.
»Wir haben ihn, Sir!«, sagte ein hoch aufgeschossener Jüngling in sein Kehlkopfmikrofon. Die weißen Sergeanten-Streifen an seiner Uniform waren frisch. Ein Bursche, bestenfalls halb so alt wie Rulfan selbst.
»Nein, er ist unbewaffnet und gibt sich friedlich«, antwortete der Mann einem unsichtbaren Befehlsgeber am anderen Ende der Leitung. »Scheint ganz normal zu sein.«
Längeres Schweigen folgte. Dann: »Ist das notwendig, Sir? Ich meine…«
Wiederum eine Pause. Der Sergeant wurde rot im Gesicht.
»Zu Befehl, Sir!«, schnarrte er schließlich, nahm instinktiv aufrechte Haltung an und deaktivierte das Funkgerät mit einem lauten Schnalzen.
Endlich fand Rulfan seinen Atem wieder, konnte seine Gedanken ordnen. Er musste seine Worte nun ganz genau wählen, den richtigen Ton finden.
»Lassen Sie mich bitte erklären, Sergeant«, begann er und stellte sich mühselig auf die schweren Beine. »Es geht um…«
»Es tut mir aufrichtig Leid, Sir«, unterbrach ihn der Soldat.
Hinter dem Rücken zog er einen Elektroschocker hervor, und ehe Rulfan reagieren konnte, presste er ihn an dessen Oberarm.
Es blitzte. Und Rulfans Lichter gingen aus.
***
Das heutige Zusammentreffen mit Rulfan war von denkbar schlechten Vorzeichen begleitet.
Als ich die Schausteller in ihrem Lager besuchte, um Näheres über ihre Vorstellung zu erfahren, erzählte mir ihr Anführer, Will Shag, von einem langhaarigen, blassen und rotäugigen Mann, der sie über mehrere Wochen hinweg begleitetund beschützt hatte.
Rulfan. Ganz eindeutig. Der Vater meines werdenden Kindes war also noch am Leben!
Ich kollabierte fast, musste mich an einem der Männer abstützen. Die hormonelle Umstellung meines Körpers wird immer deutlicher spürbar.
Rulfan wenig später leibhaftig gegenüber zu stehen, war kein geringerer Schock.
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