1376 - Die Werber des Hexameron
Shaa gesichtet hatte: eine langgestreckte, schroffe Kontur von der dreifachen Größe eines Hügels. „Jhiakk ..."
Shallun spürte plötzlich, daß er nicht einmal zum Sprechen mehr die Kraft hatte. Ein letztes Mal legten sie sich ins Zeug. Sie legten in langsamem, fast taumelndem Laufschritt die halbe Distanz zurück. Dann allerdings war Schluß, und sie brachen gleichzeitig am Rand einer Anhöhe zusammen. „Shaa", flüsterte Shallun, „nicht einschlafen, Shaa! Wenn wir jetzt nicht wach bleiben, wachen wir vielleicht nie wieder auf. Jhiakk ist ganz nahe ..."
Er kam noch einmal auf die Beine und zog seinen Bruder hoch. Hinter dem nächsten Hügel war Jhiakks Kuppe noch sichtbar, sie mußten nur gerade darauf zuhalten. Einen Kilometer noch, dachte er. Es war nur das Wasser - die giftige Substanz hatte seinem Körper falsche Sinnesreize zugeführt und richtige zurückgestellt. Und nun, da die Dinge ins Lot kamen, bewegte er sich auf einem dünnen Grat zwischen völliger Erschöpfung und eingebildetem Durchhaltevermögen.
Shaa murmelte Lehrsätze des Herrn Heptamer vor sich hin. Immer wieder flehte er die Göttin Girratu um Hilfe an.
Shallun aber war nicht bereit, daraus seine Motivation zu ziehen. Er wollte leben, nicht bloß Erfüllungsgehilfe einer Todesreligion sein. Das wurde ihm in diesen Minuten klar, da er aus immer neuen, verborgenen Reservoiren Kraft schöpfte.
Die letzten hundert Meter legte er nur mit halbem Bewußtsein zurück. In seinen Ohren dröhnte das organische Gebläse des Berges, und die Nase machte Geruchsspuren wie von Urkhiitu und Ponaa aus.
Es konnte nicht sein, dachte Shallun. Aber die Illusion war ihm recht, denn sie half irgendwie, trotz ständiger Eintrübung seines Gesichtsfelds die Richtung zu halten.
Staub wirbelte ihm in die Atemöffnungen.
Shallun riß ein letztes Mal die Augen auf und sah, daß er mit Shaa im Arm direkt unter dem Rand des Berges stand. Zweieinhalb Meter höher zog Jhiakk, getragen von einem Polster aus atmosphärischem Hochdruck, seine Bahn.
Zweieinhalb Meter. Genausogut hätten es hundert Meter sein können.
Ein harter Luftstoß warf ihn von den Beinen, und Shallun blieb kraftlos liegen, wo er war. Wüstensand drang in Nase und Mund und überzog langsam seinen Körper mit einer dünnen, pulvrigen Schicht.
3.
Fremde Sie hatten ihn von Nansar verjagt, der Welt der Nakken, wo er in einem Bergmassiv eine geheime Kontrollstation betrieben hatte. In seiner Wut sah er den kleinen Attavenno und jenen Fremden namens Rhodan nur undeutlich vor Augen. Alles war zu schnell gegangen - vielleicht hatte er sich in letzter Zeit zu sehr gehenlassen.
Narmon ald Tiil beschloß, in Zukunft mehr Sorgfalt auf seine Reaktionen zu verwenden. Als Führer der Han-Shui-Kwon, was auf kartanisch „sechs kurze Tage" bedeutete, hatte er sich nirgendwo sehen lassen und bewegen dürfen. Dies wurde nun anders.
Er befand sich im Anflug auf Talluur, die Heimatwelt der Hauri. Tief unten erkannte er schon die vorherrschend graubraune Färbung des Planeten. In einem der Priesterberge dort unten war er geboren und aufgezogen worden, daran erinnerte sich Narmon ald Tiil oft und gern. Sie bildeten das religiöse und spirituelle Zentrum aller haurischen Kultur. Dort hatte alles seinen Anfang genommen; von dort waren sie aufgebrochen, um im Auftrag des Hexameron Maghruu Maghaas Völker dem großen Ziel unterzuordnen.
Und nun mußte ausgerechnet er einen Fehlschlag melden.
Narmon ald Tiil war nicht wohl in seiner Haut. Man würde ihm in der Technozone eine untergeordnete Tätigkeit zuweisen. Das war die mindeste Strafe, denn jedes Versagen brachte im Ablauf der Sechs Tage eine Verzögerung mit sich.
Vielleicht erhielt er Erlaubnis, die Stätte seiner Geburt noch einmal aufzusuchen. Er würde echtes Urkhiitu essen und Ponaa trinken, das einem echten Berg abgezapft worden war - keine Synthoprodukte wie in der Station auf Nansar und überall sonst.
Sein Raumschiff sank im vorgeschriebenen Korridor auf den Raumhafen der Technozone nieder.
Nebenan standen Robotfähren, wie sie benutzt wurden, um von Eperum aus Fremde zur Schulung nach Talluur einzufliegen. Er schenkte ihnen keine Aufmerksamkeit.
Ebensowenig Aufmerksamkeit aber schenkte er den Orterschirmen, und dies war sein erster echter Fehler. So sah er den Verfolger nicht.
*
„Was macht ein Universum wie Tarkan so fremd?" fragte Rhodan in rhetorischem Tonfall. „Die Strangeness", erklärte LEDA. „Es ist die
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