1377 - Es lauert im Dunklen
entspanntere Haltung ein. Bisher hatte er mir wie auf dem Sprung gegenübergesessen, doch jetzt konnte er durchatmen.
Hätte man meinen können, doch das war nicht der Fall, denn er dachte nach, und sein Blick verlor sich irgendwo in weiten Fernen.
Das Thema schien ihm keinen Spaß zu bereiten, denn sein Gesichtsausdruck wirkte nicht eben glücklich.
»Ist Ihnen noch etwas eingefallen?«, erkundigte ich mich.
»Nein, das nicht. Ich muss nur an etwas anderes denken.«
»An was?«
Er winkte ab. »Ich will Sie nicht damit belästigen. An meine Tochter.«
»Gibt es Probleme mit ihr?«
Sean Blake überlegte einen Moment. »Ich denke nicht, dass es mit ihr Probleme gibt. Ich meine damit mehr die Umstände, die mir Sorgen machen.«
»Inwiefern?«
Der Baustoffhändler winkte ab. »Lassen wir das, Mr. Sinclair. Meine Sorgen sind nicht Ihre.«
Da hatte er Recht. Aber der Mann tat mir irgendwie Leid. Es war zu sehen, dass er unter den Umständen litt.
»Bitte, ich habe Zeit.«
»Danke, Sie sind sehr nett.« Er lächelte verloren. »Nun ja, wenn Sie schon mal hier sind, kann ich es Ihnen sagen. Meine Tochter ist verschwunden. Wie weg- und abgetaucht. Ich selbst kann es kaum begreifen, doch ich muss einsehen, dass ich daran nicht vorbeikomme. Sie ist nicht mehr zu erreichen.«
»Darf ich fragen, wie alt Ihre Tochter ist?«
»Cindy ist zweiundzwanzig.«
»Gut, dann…«
»He«, unterbrach er mich. »Sie lachen nicht?«
»Nein, warum sollte ich?«
»Weil Kollegen von Ihnen das getan haben. Sie haben gelacht und mich an Cindys Alter erinnert.« Er schüttelte den Kopf. »Das hat mich allerdings nie gestört.«
»Wobei?«
Er verzog die Lippen. »Wenn ich von etwas überzeugt bin, dann bringt mich auch nichts davon ab. Für mich steht fest, dass meine Tochter nicht einfach so verschwunden ist. Ich bin davon überzeugt, dass mehr dahinter steckt.«
»Kann es sein, dass sie sich eine Auszeit genommen hat?«
»Ja, das ist möglich. Aber dann hätte sie meiner Frau und mir Bescheid gegeben. Wir haben ein gutes Verhältnis zu Cindy, auch wenn sie nicht mehr bei uns wohnt.«
»Was macht sie beruflich?«
»Sie studiert Erziehungswissenschaften an einer Fachhochschule. Sagen wir mal so. Ich hatte ja gedacht, dass sie mal den Laden hier weiterführen würde, aber den Plan muss ich leider streichen. Sie ist für den Job nicht geschaffen. Ihre Begabungen gehen in eine andere Richtung.«
»Studiert sie hier in London?«
»Nein, nein. Im Südwesten. Der Ort heißt Tenterden.«
Ich schüttelte den Kopf. »Den kenne ich nicht.«
»Man muss ihn auch nicht kennen.«
»Aber da gibt es diese Schule?«
»Ja.«
»Und sie ist von dort verschwunden?«
Er nickte. »Leider, Mr. Sinclair. Wie es genau passierte, kann ich Ihnen nicht sagen. Jedenfalls war sie plötzlich weg, und ich hatte das Nachsehen.«
»Was sagte man in dieser Schule?«
»Nichts.«
»Wie?«
»Man kann sich dort keinen Reim darauf machen. Die Leute sind selbst davon überrascht. So etwas sind sie von meiner Tochter nicht gewohnt, hieß es, aber es ist nun mal passiert, daran können wir nichts ändern.« Er deutete auf seine Brust. »Sie glauben gar nicht, wie es in mir aussieht. Schlimm ist, dass ich nicht hier weg kann, und meine Frau ist so mit den Nerven fertig, dass sie krank geworden ist. Der Druck ist wirklich grausam, das muss ich zugeben.«
»Haben Sie etwas unternommen?«
»Ja, das habe ich.«
»Und was?«
»Ich habe jemanden engagiert, der sie…«
Das Telefon klingelte. Dabei blinkte zusätzlich eine rote Lampe wie ein Alarmsignal.
Sean Blake zuckte leicht zusammen, als er das Geräusch hörte.
Dann entschuldigte er sich bei mir, lief zu seinem Schreibtisch und hob den Hörer ab. Er meldete sich mit rauer Stimme und sagte danach einen Satz, der mich fast elektrisierte.
»Ah, Sie sind es Mrs. Collins…«
***
In den nächsten Sekunden saß ich auf dem Stuhl, ohne mich zu bewegen. Ich spürte den Druck in meinem Inneren und das schnelle Klopfen meines Herzens.
Jane Collins!
Ausgerechnet sie hatte er engagiert. War es ein Zufall, war es Schicksal, dass meine alte Freundin plötzlich mitmischte?
Ich konnte es nicht sagen, da kam wohl einiges zusammen, aber den Fall sah ich plötzlich mit ganz anderen Augen an. Es gab noch keinen Hinweis, dass es ein Fall für mich werden könnte, aber so ganz schloss ich es nicht aus.
Ich hörte einfach nur zu, doch aus den Antworten klang nur Negatives hervor. Sean Blake als Vater war verzweifelt.
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