1384 - Die Blut-Ruine
Ich war ziemlich sauer. In mir kocht es zwar nicht, aber ich fühlte mich schon an der Nase herumgeführt. Was wollte diese Frau bei mir?
Nein, sie war ja keine Frau. Kein normaler Mensch. Sie war Blutsaugerin, eine Vampirin, die sich vom Blut der Menschen ernährte und möglicherweise das auch vorgehabt hatte.
Nein, unmöglich, wenn ich darüber nachdachte. Das konnte ich nicht glauben. Sie hatte es nicht vorgehabt. Das konnte sie gar nicht.
Sie wäre sonst nicht zu mir gekommen, denn sie musste wissen, dass ich jemand war, der auch Jagd auf Vampire machte. Also hatte es einen anderen Grund für ihr Kommen gegeben.
Da konnte ich mir jetzt den Kopf zerbrechen, ohne auf eine Lösung zu kommen. Ich kannte sie nicht. Das Gesicht war mir völlig fremd. Und sie hatte auf mich den Eindruck einer trauernden Witwe gemacht. Die Kleidung, der Schleier, das passte perfekt dazu. So sahen Witwen aus, die vor den Gräbern ihrer Männer stehen und trauern.
Trotzdem setzt ich darauf auch nicht. Sie wollte Blut, denn sie war keine normale Witwe, das musste ich mir immer wieder vor Augen halten. Sie war zu mir gekommen, und allein ihr Kommen sah ich bereits als eine bestimmte Botschaft an.
Leider als eine stumme, vielleicht auch als eine traurige, so genau konnte ich das nicht beurteilen. Jedenfalls hatte ich ein Problem, und je intensiver ich darüber nachdachte, um so mehr kam mir in den Sinn, dass ich es wohl allein nicht lösen konnte.
Wer konnte mir helfen? Wer wusste über diese Blutsauger bestens Bescheid?
Natürlich dachte ich sofort an Dracula II, den Super-Vampir, den ich erst vor kurzem zusammen mit Assunga, der Schattenhexe, auf dem Hexenfriedhof getroffen hatte. Er war der König der Blutsauger, aber so recht wollte ich nicht daran glauben, dass er im Hintergrund die Fäden zog. Da musste es noch eine andere Lösung geben.
Justine Cavallo!
Der Namen der blonden Bestie blitzte in meinem Kopf auf. Sie selbst war eine Blutsaugerin, und sie konnte man ebenso wenig als normal in dieser Gattung ansehen wie Dracula II.
Die Cavallo schlief nicht in irgendeinem Grab oder Sarg, sondern wohnte ganz normal bei meiner Freundin Jane Collins, auch wenn Jane sie nicht freiwillig aufgenommen hatte.
Justine sah uns als Partner an, so lange sie uns brauchte. Die Umstände hatten mich gezwungen, dem zähneknirschend zuzustimmen, und in einigen Situationen waren wir sogar froh gewesen, dass es sie gab, das musste ich leider zugeben.
Früher mal hatte sie an Mallmanns Seite gestanden, aber einer von ihnen war zu viel gewesen. Sie hatte ihn vor den Attacken des Schwarzen Tods nicht retten können, das war letztendlich Assunga gewesen. Seit diesem Zeitpunkt hielt sich Mallmann in der Hexenwelt auf, in der er als Vampir so etwas wie eine Sonderstellung innehatte.
Wenn es jemanden gab, an den ich mich wenden konnte, dann war es Justine Cavallo.
Hinfahren oder anrufen?
Ich entschied mich dazu, zu ihr zu fahren und sie nicht vorzuwarnen. Bevor ich ging, durchsuchte ich noch mal meine Wohnung, ohne allerdings eine Spur zu finden.
Danach fuhr ich nach unten in die Tiefgarage und ging zu meinem Rover. Auf dem kurzen Weg dorthin schaute ich mich sehr sorgsam um, denn ich hatte hier schon einige böse Überraschungen erlebt, zuletzt mit dem Auftauchen einer Amazonen-Kriegerin, die hier auf mich gelauert und einen kleinen Jungen als Geisel genommen hatte. [1]
An diesem Abend passierte nichts.
Ich stieg in den Rover, ließ den Motor an und rollte langsam dem Ausgang entgegen. Das Tor öffnete sich, und wenig später hatte ich mich in den fließenden Verkehr eingereiht.
Es gab nichts mehr daran zu rütteln, es wurde Herbst. Durch London wühlte sich ein steifer Wind, der dabei war, die ersten Blätter von den Bäumen zu fegen. Geregnet hatte es auch, und auf den Straßen lag die entsprechende Feuchtigkeit.
Auch die Dunkelheit trat früher ein, und so fuhr ich mit Licht. Der ganz große Verkehr war vorbei, aber Staus gab es trotzdem, in denen ich ab und zu feststeckte.
Ich musste nach Mayfair. Eigentlich keine große Entfernung, doch hier wurde es mal wieder zum Problem, weil ein Bus mit einem Transporter kollidiert war. Zwar hatte man die Straße nicht gesperrt, aber der Verkehr wurde über den Gehsteig an der Unfallstelle vorbeigeleitet, und da konnte immer nur jeweils ein Fahrzeug fahren.
An diese Reihe musste auch ich mich halten. Es ging recht langsam voran. Ich steckte in der Schlange aus Blech, und an der rechten Seite glitten
Weitere Kostenlose Bücher