1387 - Signale der Vollendung
freundlich und offen entgegen, gleich zeitig aber auch ohne tieferes Interesse. Und darum mochte es schon sein, daß ich so manches an seiner Haltung fehlinterpretierte. Aber im Prinzip lag ich sicherlich richtig. „Wir sind deiner Aufforderung gefolgt und mit euch zum Ort der Freude gekommen", sagte ich zur Begrüßung. „Nun sind wir hier, auf Waliki. Aber wie soll es weitergehen, Sidichum?" Oogh bat uns, sich ins niedergetretene Gras zu setzen, und als wir der Aufforderung gefolgt waren, ließ er sich zwischen mir und Gucky nieder. „Wir warten", sagte Oogh zufrieden. „Für mich ist es nicht schwer, mich in Geduld zu üben, denn für mich waren die Jahrzehntausende wie ein Tag. So werde ich mich auch noch die wenigen Tage gedulden."
„Das erinnert mich an deine Prophezeiung", hakte ich ein. „Weißt du noch, Oogh, was du uns auf der MAI-KI gesagt hast? Du sprachst davon, daß die Mächtige auf uns warte. Daß sie zu uns sprechen oder uns ein Zeichen geben wolle. Wartest du darauf? Oder hat man uns bereits ein Zeichen gegeben?"
„Das darfst du nicht so wörtlich nehmen, Reginald Bull", sagte Oogh heiter. „Aber sinngemäß habe ich es so gemeint wie ich sagte. Ja, ich habe ein Zeichen erhalten."
„Von ESTARTU?" fragte ich schnell und merkte aus den Augen winkeln, daß sich Gucky wie unter Leibschmerzen wand.
Meine Direktheit behagte ihm wohl nicht. Er sagte, da Oogh ohnehin keine Anstalten machte, mir zu antworten: „Du benimmst dich wie ein Elefant im Porzellanladen, Bully. Es gibt Dinge, über die Oogh nicht freiheraus spricht. Du mußt die Bedeutung aus dem heraushören, ‘was er nicht sagt."
„Ich bin kein Telepath wie du, Kleiner, daß ich das Gras beim Wachsen jauchzen höre", erwiderte ich grollend. „Sage mir also, was du heraus hörst. Sieht Oogh in der Mächtigen ESTARTU? Hat ESTARTU bereits zu ihm gesprochen, oder glaubt er, daß sie es noch tun wird? Um klare, einfache Antworten wird gebeten."
„Nein", sagte Gucky schlicht. „Ein klares Nein auf alle deine Fragen."
„So frugal brauchst du es mir auch wieder nicht zu präsentieren", schränkte ich ein. „Wie könntest du das Nein also garnieren?"
„Oogh denkt nicht an ESTARTU, wenn er von der Mächtigen spricht", erklärte Gucky. „Und Sidichum hat diesen Namen überhaupt noch nie gehört. Aber sie denken beide an eine lenkende, positive Kraft, die auf die Vollendung und die Zeit der Reife hin steuert. Und auf diesen Moment warten beide." Ich blickte von Oogh zu dem Benguel, und beide schienen Gucky zu bestätigen. Sidichum sagte: „Auf Waliki werden sich die Teile zusammenfügen. Es wird ein Signal gesetzt."
„Und was haben wir damit zu tun?" fragte ich. „Warum hast du uns, völlig Fremde, nach Waliki gebeten?"
„Es war ein Irrtum, vermute ich", sagte Oogh.
Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: „Ich glaube, Sidichum und seine Worlon haben euch für jemand anders gehalten."
„Wir haben uns deutlich zuerkennen gegeben, also keine Ausflüchte", sagte ich „Nichts ist, was es scheint", sagte Sidichum, und mir klang förmlich Lalla im Ohr, wenn sie über den Wert der Realität philosophierte. Mir fiel einer ihrer Sprüche dazu ein: Das Kind, der Tor, der Weise - jeder von ihnen sieht etwas anderes in dem aus Elfenbein geschnitzten Elefanten. Und wenn man sie fragte, wer denn was in der Schnitzerei sehe, dann antwortete sie: Das Kind das Spielzeug, der Tor den Wert des Schmuckstücks, der Weise die schöpferische Kraft. Wer von uns war nun Kind, Tor oder Weiser? Ich hatte das dumpfe Gefühl, daß ich zum Narren gemacht werden sollte. „Es war alles anders, bevor Imago kam", hörte ich Sidichum philosophieren. „Was verstehst du unter Imago?" fragte ich, aus meinen Gedanken geschreckt. „Kannst du mir erklären, was der Begriff Imago für dich, für dein Volk oder deinen Stamm, bedeutet, Sidichum?"
„Imago ist die Kraft, die uns zur Vollendung führt", antwortete der Benguel ohne Zögern. „Imago ist unser Leitbild. Imago zeigt uns den Weg, den wir nehmen müssen, um das Ziel zu erreichen. Imago führt uns zum Ort der Vollendung. In dem Augenblick, da Imago geboren wurde, da wurde der Vortag zur Zeit der Reife eingeläutet."
„Schön und gut", sagte ich. „Aber werden wir konkret. Ist Imago bloß eine Idee, ein Geist, oder ein Wesen aus Fleisch und Blut?"
„Diese Fragestellung überfordert Sidichum", erklärte Gucky, und Oogh nickte dazu. „Imago ist - so wie ich es aus Sidichums Gedanken heraushöre - das
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