139 - Rätsel-Tempel des Dschinn
entstehen. Nicht alle aber sind für den großen Dschinn. Es gibt
Bestrebungen, ihn zurückzudrängen. Ich habe ihn gesehen. Ich war die
siebentausendsiebenhundertsiebenundsiebzigste, die in diesem Tempel zu Ehren
des Dschinn geopfert wurde.
Die Forderung war erfüllt, damit der
Siebzigköpfige mit den siebzig Gesichtern und den siebzig Körpern
Wiedererstehen konnte. Und noch ehe er kommt, wird ein Heer von niederen
Geisterwesen und Sklaven seine Wiederkunft ankündigen. Ich bin eines von ihnen,
und ich zeige mich mit dem Aussehen Ineas. Ich könnte auch als Hund oder
Schakal kommen. Auch den Dienern des großen Dschinn ist es möglich, Form und
Gestalt zu wechseln. Noch einfache^ ist es allerdings, einen anderen Körper zu
übernehmen, einen, der einem gefällt. Und du gefällst mir besser als ein Hund
oder Schakal oder ein Pferd oder ein Rind ... Bisher war ich nur Geist,
wiedergeboren durch die Formeln und Beschwörungen jener, die den Ersten, die
ihn sahen, nacheifern.
Doch jetzt möchte ich Körper sein. Mich frei
bewegen unter den Menschen, ohne als Dämon erkannt zu werden ...«
Die Augen ihres Gegenüber begannen zu leuchten.
Morans Herz schlug schneller.
Alles, was sie über Dschinns und arabische
Geister gelesen, gehört und gelernt hatte, war schon schlimm genug. Aber die
Wirklichkeit übertraf die Schilderungen noch.
Der Legende nach - die viele Jahrtausende
zurückreichte - sollte es Dschinns geben, die in vielerlei Gestalt auftreten konnten.
Sie konnten darüber hinaus auch in fremde Körper schlüpfen und diesen
übernehmen. Ein solcher Mensch wurde dann in der Regel unberechenbar. Er griff
im Sinn des Dschinns andere an und führte Morde aus. Der Besessene wußte nichts
von seinen Taten, aber diejenigen, die ihn beobachteten, jagten und stellten
ihn, und oft kam der Besessene bei dieser Jagd ums Leben.
Dschinns und deren Hilfsgeister waren
launisch und unberechenbar. Sie waren zu allerlei Schabernack aufgelegt, der
für den Betroffenen, der mit ihnen zu tun bekam, jedoch keineswegs lustig war.
Derartige »Spiele« endeten für den Betroffenen meist tödlich.
Der Hilfsgeist, der der Wiederkunft eines
besonders grausamen, furchterregenden und unvorstellbaren Dschinn vorausging,
dessen Heimat möglicherweise hier in diesem antiken, unterirdischen Tempel lag,
war die Vorhut. Vielleicht war er in einer Mauerritze verborgen gewesen, oder
in einem der antiken Krüge oder einer der zahlreichen Lampen, wie sie in dem
Märchen von »Aladin« in aller Weitberühmtheit erlangt hatte. Und selbst in
diesem Märchen - so hatten Dschinn-Experten und Kenner der Zauberei des
Mittleren Ostens festgestellt - waren mit großer Sicherheit wahre Begebenheiten
verarbeitet.
Anfangs wurden die Geschichten mündlich
weitergegeben. Jeder, der sie einem anderen mitteilte, fügte etwas hinzu oder
ließ etwas weg. Bis sie endlich schriftlich fixiert ihre endgültige Form
fanden.
Der wahre Kern war verdeckt, und keiner
kannte ihn mehr.
Es gab auch ein Abwehrmittel gegen Geister -
und gegen niedere Dschinns.
Man mußte ihm nur furchtlos und entschlossen
entgegentreten.
Diese Masche versuchte Morna.
»Du redest sehr viel«, sagte sie mit scharfer
Stimme. »Du bist nicht viel wert. Du bist ein winziger, harmloser Wicht.
Hättest du sonst das Aussehen eines Weibes angenommen ?«
Der Gesichtsausdruck ihres
Gegenüber veränderte sich schlagartig.
Ineas Augen wanderten unruhig hin und her,
und ein leichtes Zittern lief durch ihren makellos geformten Körper.
»Du wagst es, mir zu widersprechen? Du wagst
es, meine Macht in Zweifel zu ziehen ?« Ineas Stimme
klang ebenfalls verändert, rauh und heiser, von einem leisen Fauchen und
Zischen unterlegt, als würden gleichzeitig Schlangen aus ihrem Mund sprechen.
»Die Gestalt, in der ich mich dir zeige, ist längst vergangen. Inea, die
Tochter des reichen Kaufmanns, ist längst ermordet. Aber an ihren Körper kann ich
mich gut erinnern ... Du weißt nicht, was du tust, Weib ...« Wie Donnergrollen
schallte es aus Ineas Mund. »Ich werde dir zeigen, was damals geschah. Du wirst
noch um dein Leben flehen, wie Inea es tat. Unter den Augen der > Ersten,
die ihn sahen<... Sie war die siebentausendsiebenhundertsiebenundsiebzigste,
die mir zu Ehren starb ... Es war der Tag, an dem ich mich meinen Anbetern, den
Herren meines Tempels zeigte. Ein Festtag für alle ...«
Mit solcher Kälte und Abscheulichkeit konnte
nur ein Dämon reden. Der Todestag Ineas war für den Dschinn und
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