14 - Der große Krieg
zwischen Château-Thierry und Paris. Der Vormarsch der 1. Armee nach Süden war riskant, denn er exponierte ihre rechte Flanke.
Die Franzosen erkannten die Chance und mobilisierten nun alle in Paris verfügbaren Reserven. Die Soldaten wurden zum Teil mit requirierten Taxis an die Front gebracht, wofür Joseph Gallieni, der Befehlshaber von Paris, in Frankreich bis heute gefeiert wird. Er selbst hat seine Idee mit den Worten kommentiert: »Nun ja, wenigstens ist sie nicht gewöhnlich.« Am 5. September griff Joffre die Deutschen in ihrer rechten Flanke an. Die Kämpfe entbrannten bald wie ein Lauffeuer an der gesamten, über 300 Kilometer langen Front zwischen Paris und Verdun. Doch die Entscheidung fiel an der Marne, auf dem linken Abschnitt der Front. Die 1. Armee schwenkte nach Westen ab, um den Flankenangriff der Franzosen abzuwehren. Dadurch entstand eine etwa 40Kilometer breite Lücke zwischen ihr und der 2. Armee, die die Marne sehr viel weiter östlich überquert hatte. In diese Bresche stießen das britische Expeditionskorps und die 5. französische Armee hinein, ohne dass sie sich über die Tragweite ihres Manövers völlig im Klaren waren. Sie bedrohten nun die Flanke von Bülows 2. Armee und den Rücken der 1. Armee unter Kluck, die den Angriff der 6. französischen Armee abgewehrt hatte.
Die Kommunikation zwischen Kluck und Bülow brach während der Kämpfe weitgehend ab. Auch die Verbindungen zum Hauptquartier der Obersten Heeresleitung in Luxemburg funktionierten nur schlecht. Moltke folgte der deutschen Militärdoktrin, die den Kommandeuren ein Höchstmaß an Autonomie einräumte, und ließ Kluck und Bülow vier Tage lang ohne Instruktionen. Erst am 8. September entsandte er einen Mitarbeiter zu seinen Armeen, den Chef der Nachrichtenabteilung Rudolf Hentsch (1869–1918), einer seiner engsten Berater. Hentsch fuhr mit dem Auto nacheinander die Oberkommandos der deutschen Armeen ab. Am Abend traf er bei Bülow ein, am nächsten Morgen fuhr er zu Kluck. Der Nachrichtenchef schätzte die Lage als prekär ein und erkannte die drohende Isolation der 1. deutschen Armee. Bis heute ist unklar, mit welchen Vollmachten Moltke seinen Emissär, der nur den Rang eines Oberstleutnants bekleidete, ausgestattet hatte. Sicher ist jedoch, dass dieser Bülow und Kluck den Rückzug massiv nahelegte, wenn nicht befahl, und diese am 9. September auch den Abbruch der Kämpfe anordneten, obwohl ihre Armeen noch nicht geschlagen waren und sie nicht miteinander gesprochen hatten. Erst gegen Abend kam es zum Kontakt zwischen Bülow und Kluck über ein Feldtelefon. Aber nun war es zu spät. Die Schlacht an der Marne war verloren. Die Verluste der Deutschen und Franzosen betrugen jeweils 250
000, die der Briten 13
000 Mann. 23
Am 11. September waren 42 Tage seit dem Beginn der deutschen Mobilisierung vergangen. Spätestens jetzt hätte der Gegner nach dem deutschen Operationsplan geschlagen sein und die Verlegung der siegreichen Truppen in den Osten beginnen sollen. Stattdessen traten nun auch die 3., 4. und 5. deutsche Armee den Rückzug an. Ihre erschöpften Gegner setzten nur zögerlich nach. So kamen die deutschen Armeen Mitte September auf der Linie Noyon – Soissons – Reims – Verdun zum Stehen. Am 8. September hatte Maubeuge kapituliert. 40
000 Franzosen gingen in Gefangenschaft. Aber das war nur ein schwacher Trost und konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der deutsche Kriegsplan auf ganzer Linie gescheitert war. Nun war mit einem längeren Krieg an zwei Fronten zu rechnen, für den der Generalstab keinen Plan hatte. Moltke erlitt einen Nervenzusammenbruch und wurde am 13. September durch Kriegsminister Erich von Falkenhayn abgelöst. Dieser Wechsel an der Spitze der Obersten Heeresleitung wurde jedoch erst am 6. November bekannt gegeben, um die Öffentlichkeit in der Welt und im eigenen Land sowie den österreichischen Bündnispartner über das Debakel hinwegzutäuschen, das in Frankreich als »Wunder an der Marne« gefeiert wurde. 24
Die Alliierten griffen nun mit der 5. und 6. französischen Armee und dem britischen Expeditionskorps die deutschen Rückzugsstellungen hinter der Aisne an, die aufgrund ihrer erhöhten Lage gut zu verteidigen waren. Zudem verlegte Falkenhayn die 7. Armee zum größten Teil aus dem Elsass nach Norden und schloss dadurch die Lücke zwischen seinen ersten beiden Armeen. Die Schlacht an der Aisne (13. bis 28. September) war die erste des Krieges, in denen die
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