14 - Der große Krieg
Stellungskrieg
Nach den Schlachten in Flandern Mitte November wurde deutlich, dass es keiner der beiden Seiten gelungen war, die andere zu umgehen oder ihr gar eine Niederlage beizubringen. Die Soldaten begannen nun, sich in den Boden einzugraben, Schützengräben anzulegen und ihre Verteidigungsstellungen auszubauen. Die Front erstarrte auf einer durchgehenden Linie von 720 Kilometern, die von Nieuwpoort an der Kanalküste bis Altkirch an der Schweizer Grenze reichte. Die deutsche Strategie war endgültig gescheitert, der Traum vom schnellen Sieg im Westen ausgeträumt. Pläne für einen langen Krieg an zwei Fronten hatte der Generalstab nicht in der Schublade. Falkenhayn kam daher zu der Auffassung, dass der Krieg für Deutschland nicht mehr zu gewinnen sei, da die Gegner über die größeren Kräfte und Reserven verfügten. Seine Empfehlung, einen ehrenvollen Frieden zu schließen, wurde jedoch von Bethmann Hollweg zurückgewiesen: Deutschland war nicht geschlagen. Der Angriff der Russen im Osten war abgewehrt und zwei ihrer Armeen vernichtend geschlagen worden. Belgien und große Teile Nordostfrankreichs mit seinen wichtigen Industriegebieten befanden sich in deutscher Hand. Diese Erfolge hatten dazu geführt, dass sich Regierung und einflussreiche Teile der Öffentlichkeit auf einen Katalog weitreichender Kriegsziele festlegten, den sie nicht mehr ohne weiteres ad acta legen wollten. Aber auch die Alliierten haben den Frieden Ende 1914 nicht gesucht. Auch ihnen war es nicht mehr möglich, den Krieg ohne greifbare Vorteile zu beenden. Zu hoch waren die Verluste, zu festgefügt und eingängig die These von der deutschen Barbarei und dem preußischen Militarismus. So nährte der Krieg den Krieg. 30
Der Übergang zum Stellungskrieg war eine Folge der modernen Technik. Die Feuerkraft, Reichweite und Zielgenauigkeit der Waffen hatten sich in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg dramatisch erhöht. Die modernen Gewehre, mit denen die Infanteristen 1914 in den Krieg zogen, besaßen meist eine Reichweite von über 1
000 Metern und konnten zehnmal in der Minute feuern. Die Kugeln erreichten eine sehr viel höhere Geschwindigkeit und Durchschlagskraft als früher und riefen daher auch schwerere Verwundungen hervor.
Doch wichtiger noch war das Maschinengewehr, das 400 bis 600 Schuss in der Minute abgeben konnte. Diese Waffe war schon vor 1914 in Gebrauch gewesen, allerdings noch in vergleichsweise begrenztem Umfang. Im Ersten Weltkrieg dagegen wurde das Maschinengewehr von allen Seiten zum ersten Mal systematisch und auf breiter Front eingesetzt. Seine Wirkung war überwältigend. Das Maschinengewehr tötete mit industrieller Effizienz und wurde daher zum Inbegriff des modernen Krieges und des Massentodes. Wo es zum Einsatz kam, wurde es für die angreifende Infanterie unmöglich, ohne extreme Verluste das Niemandsland zu überqueren und die feindlichen Linien zu erreichen.
Auch die Feuerkraft und Reichweite der Artillerie hatte vor 1914 massiv zugenommen. Die entscheidenden Innovationen fielen in die letzten fünfzig Jahre vor dem Krieg. Zu ihnen zählten stählerne Geschützläufe, rauchlose Munition und vor allem hydraulische Rückstoßmechanismen, die den Rückprall der Geschütze beim Feuern verhinderten, so dass nicht mehr vor jedem Schuss das Gerät neu justiert werden musste. Die modernen Geschütze mussten auch nicht mehr vor jedem neuen Schuss gereinigt, geladen und verschlossen werden. Dadurch konnten die leichten Feldgeschütze, die 1914 zum Einsatz kamen, nun bis zu 30 Granaten in der Minute abfeuern. Die wichtigsten von ihnen waren das französische 75-mm-Geschütz und das deutsche 77-mm-Geschütz von Krupp. Sie hatten eine Reichweite von bis zu neun Kilometern.
Das Vernichtungspotenzial der Infanterie und Artillerie hatte in den fünfzig Jahren vor dem Ersten Weltkrieg insgesamt um etwa das Zehnfache zugenommen. 31 Die enorm gesteigerte Feuerkraft der modernen Waffen, ihre Frequenz, Durchschlagskraft und Reichweite erschwerten den Angriff und boten dem Verteidiger einen deutlichen Vorteil. Diese strukturelle Überlegenheit der Defensive war auch eine Folge der rauchlosen Munition, die es dem Angreifer erschwerte, die genaue Position des aus der Deckung heraus operierenden Schützen zu bestimmen, während für den Verteidiger selbst bei intensivem Feuer die Sicht auf das Schussfeld nicht mehr vom traditionellen Pulverdampf behindert wurde. Das Maschinengewehr kam überdies nur der Verteidigung
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