14 - Der große Krieg
zugute. Für den Angriff war es wegen seines Gewichts kaum zu gebrauchen.
Die Wirklichkeit des modernen Krieges war ein Schock für die meisten Soldaten. Sie widersprach allen Erwartungen, die sie bei Bekanntgabe der Mobilmachung gehegt haben mochten. Das galt besonders für die Soldaten mithöherer Bildung, deren Vorstellung vom Krieg durch Schulbücher, historische Literatur und Romane geprägt war. Sie erwarteten den heldenhaften, ritterlichen Krieg, in dem sich Mut, Tapferkeit und Angriffsgeist unter Beweis stellen ließen. Ihre Erwartungen wurden besonders stark enttäuscht. So schreibt ein deutscher Student, dessen Einheit in Westflandern belgischen Stellungen gegenüberlag, am 28. Oktober in einem Brief über sein erstes Kampferlebnis:
»Mit welcher Freude, welcher Lust bin ich hinausgezogen in den Kampf, der mir als die schönste Gelegenheit erschien, Lebensdrang und Lebenslust sich austoben zu lassen. Mit welcher Enttäuschung sitze ich hier, das Grauen im Herzen. […] Wie soll ich Dir das, was ich in den letzten Tagen erlebte, so recht erzählen. […] Es war furchtbar! Nicht das vergossene Blut, nicht auch der Umstand, dass es vergeblich vergossen war, auch nicht, dass in dunkler Nacht die eigenen Kameraden auf uns schossen, – nein, die ganze Kampfesweise ist es, die abstößt. Kämpfen wollen und sich nicht wehren können! Der Angriff, der mich so schön dünkte, was ist er anderes als der Drang: hin zur nächsten Deckung da vorn gegen diesen Hagel tückischer Geschosse. Und der Feind, der sie entsendet, nicht zu sehen!« 32
Der moderne Krieg zwang die Soldaten in die Deckung. Diese Einsicht führte zur Anlage von Schützengräben – eine Maßnahme, welche in diametralem Gegensatz zu der auf allen Seiten herrschenden Militärdoktrin stand, die ganz auf die Offensive setzte. Dieser Lernschritt, diese Anpassung an die Vernichtungskraft der modernen Waffen setzte sich daher auch nicht von oben durch. Die ersten Schützengräben entstanden spontan, nicht auf Befehl der höheren Kommandoebenen. Die von den langen Märschen und verlustreichen Kämpfen der ersten Kriegsmonate erschöpften Soldaten begannen im Herbst 1914 damit, sich in Löchern einzugraben, um sich vor dem feindlichen Beschuss zu schützen. Diese isolierten Anlagen wurden dann nach und nach verbunden, wodurch die ersten Schützengräben entstanden. Dies wiederum verstärkte das Übergewicht der Defensive mit der Folge, dass die Fronten immer mehr erstarrten. Im Osten dagegen herrschte noch bis zum Sommer 1915 der Bewegungskrieg vor. Erst nach dem großen Rückzug der Russen kam es dann auch hier zur Anlage von dauerhafteren und ausgebauten Schützengräben, wodurch sich die Physiognomie der Fronten anglich. 33
Die hohen Verluste an Menschenleben im Ersten Weltkrieg werden gemeinhin mit den Schrecken des Stellungskrieges an der Westfront und seinen endlosen Materialschlachten in Verbindung gebracht. Dies ist auch zutreffend, dennin den langen Jahren des Stellungskrieges sind, absolut gesehen, sehr viel mehr Soldaten gefallen oder verwundet worden als in den ersten Monaten, in denen noch ein Bewegungskrieg gekämpft wurde. Die Anfangsschlachten waren jedoch sehr viel verlustreicher als alle späteren Schlachten des Krieges, wenn man die Dauer der Kämpfe und der Zahl der eingesetzten Soldaten berücksichtigt. In ihnen sind wahrscheinlich auch mehr Soldaten ums Leben gekommen als in allen Kriegen der vergangenen hundert Jahre zusammengenommen. In der Schlacht von Solferino, die als eine der blutigsten des 19. Jahrhunderts gilt und zur Gründung des Roten Kreuzes geführt hat, fielen nicht einmal 5
000 Soldaten. In der fast drei Wochen dauernden Schlacht von Mukden, der wichtigsten des Russisch-Japanischen Krieges und größten Landschlacht ihrer Zeit, kamen 1905 knapp 27
000 russische Soldaten ums Leben. 1914 dagegen fielen in den wenigen Tagen zwischen dem 20. und dem 23. August 40
000 französische Soldaten, 27
000 davon an einem einzigen Tag, dem 22. August. 34
Insgesamt verloren die Deutschen im August und September 1914 an der Westfront 373
369 und die Franzosen rund 329
000 Soldaten. Das war etwa so viel wie später in den Kämpfen um Verdun, die sich jedoch über einen Zeitraum von mehr als acht Monaten erstreckten. Enorm waren auch die Verluste des britischen Expeditionskorps, die sich bis Ende November 1914 auf 89
964 Mann summierten. Das war mehr als seine ursprüngliche Stärke und konnte nur
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