14 - Der große Krieg
Kämpfen nahmen nun auch in großem Umfang außereuropäische Staaten teil.
Global war der Krieg von Beginn an auch in ökonomischer Hinsicht. Der Kriegseintritt Großbritanniens hatte Folgen für den Handel und die Finanzsysteme aller Staaten der Welt, ganz unabhängig davon, ob sie in den Krieg eintraten oder nicht, denn das Vereinigte Königreich war das Zentrum des Welthandels und London Mittelpunkt des globalen Finanzwesens. So betraf der Krieg rasch und unmittelbar die internationalen Finanzmärkte, darunter vor allem ihr zweites Zentrum New York. Alle Staaten der Entente nahmen nun, oft über London, in den Vereinigten Staaten Kredite auf, um den Krieg zu finanzieren. Am Ende des Krieges, der Deutschland hohe Reparationen auferlegte, war ganz Europa in den USA verschuldet. Der Krieg eröffnete überdies vielen zunächst neutralen Ländern neue Exportmärkte. Dies gilt für die USA, für Lateinamerika und einige Staaten Asiens, deren Volkswirtschaften sich dadurch dramatisch veränderten. So wirkte für große Teile der restlichen Welt der Krieg wie ein großes, von Europa finanziertes Konjunkturprogramm. Am Ende hatte Europa nicht nur knapp zehn Millionen tote Soldaten zu beklagen, sondern war auch finanziell und ökonomisch ausgeblutet. Mit dem Ersten Weltkrieg, der den Aufstieg der USA endgültig machte und den der UdSSR einleitete, endete nicht nur die politische, sondern auch die wirtschaftliche Vorherrschaft Europas über den Rest der Welt.
Zu einem globalen Konflikt wurde der Krieg aber auch dadurch, dass Frankreich und Großbritannien die Ressourcen ihrer kolonialen Imperien mobilisierten, die ein Viertel der Weltbevölkerung ausmachten, und zwar nicht nur in ökonomischer, sondern auch in militärischer Hinsicht. Frankreich rekrutierte 550
000 Mann in seinen Kolonien, von denen 440
000 in Europa zum Einsatz kamen. In Indien wurden 1,3 Millionen Soldaten mobilisiert, von denen über 800
000 außerhalb des Subkontinents eingesetzt wurden. Ein großer Teil der britischen Truppen, die in Europa kämpften, stammten aus Australien, Neuseeland, Südafrika und Kanada. Diese Gebiete des Britischen Weltreichs stellten insgesamt 1,2 Millionen Soldaten, von denen 900
000 in Europa dienten. Und auch die russische Armee, die insgesamt 15 Millionen Männer mobilisierte, war nicht nur europäisch geprägt, sondern rekrutierte sich auch aus der asiatischen Bevölkerung des Zarenreiches. Darüber hinaussetzten Briten und Franzosen auch in größerem Stil Arbeitskräfte aus ihren Kolonien und aus China in Europa ein.
Die intensiven Bemühungen beider Seiten um weitere Bündnispartner führten schnell dazu, dass sich der Krieg ausweitete. Um weitere Staaten zum Kriegseintritt zu bewegen, mussten Zugeständnisse an ihre territorialen Interessen gemacht werden. So wurden immer mehr regionale Konflikte an den Krieg angedockt, die mit dem zentralen Geschehen oft wenig zu tun hatten. Diese Dynamik lässt sich am Beispiel von Rumänien, Bulgarien, Italien, Portugal, Japan, China und dem Osmanischen Reich beobachten, die alle den europäischen Kernkonflikt auszunutzen versuchten; entweder, wie das Osmanische Reich, Portugal und China, um ihre Position zu konsolidieren, oder, wie etwa Japan, das im Ersten Weltkrieg zur dominanten Macht in Südostasien und im pazifischen Raum aufstieg, um massiv zu expandieren. Aber auch Australien und Südafrika versuchten den Krieg für eigene Ziele zu instrumentalisieren und heizten ihn damit an. Die Forschung spricht hier von »Subimperialismus«. Als schließlich auch die USA in den Krieg eintraten, konnte es sich kaum noch ein Staat leisten, abseits zu stehen, da nun sicher war, dass am Tisch der Sieger die Welt neu geordnet werden würde. Das zeigt das Beispiel der lateinamerikanischen und anderer Staaten, die bald dem Beispiel Washingtons folgten.
Eine Folge dieser Kettenreaktion, die den globalen Charakter des Krieges immer weiter verstärkte, war, dass dieser keineswegs 1918 endete, wie das konventionelle Geschichtsbild es will. Auch in dieser Hinsicht muss unsere auf Deutschland und Europa zentrierte Sichtweise korrigiert werden. Der Erste Weltkrieg war nicht nur ein globaler, sondern auch ein langer Krieg, der eine eigene Epoche markiert. Er begann in vieler Hinsicht schon vor 1914 auf dem Balkan und an den kolonialen Peripherien wie Marokko oder Libyen. Und er dauerte weit über 1918 hinaus an. Dies gilt nicht nur in dem allseits bekannten Sinn, dass die Pariser
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