14 - Der große Krieg
Rolle. Ein deutscher Soldat, der die Aufgabe hatte, zerstörte Fernmeldeleitungen zwischen den Geschützstellungen wieder in Ordnung zu bringen, schrieb am 29. Juli:
»Granattrichter von 3
m Tiefe und 10–12 m Durchmesser liegen vor und hinter den Geschützständen, es ist eine richtige Wildnis. Und so wie in unserer Feuerstellung, so sieht es in dem ganzen, großen, herrlichen Eichenwald aus. Seit 10 Tagen haben wir zum ersten Mal dauernden Sonnenschein, da läßt sich doch alles noch ertragen, aber grausig waren die ersten Wochen mit ihrem unaufhörlichen Regen, der alles ringsum in Sumpf verwandelte. Man konnte keine 10 Schritte weit gehen, ohne daß man bis an die Knie versank. Und in diesem Schlamm war ich wochenlang von früh bis spät unterwegs, um meine 10 km Leitungen in Ordnung zu halten. Selten war eine Leitung länger als eine Stunde heil, manche fanden wir überhaupt nicht wieder. So tobten wir durch die Gegend, ewig im schwersten Feuer, ohne jede Deckung. Alle Augenblicke warf man sich hin, wo man stand und ging, um nicht getroffen zu werden. Von oben bis unten mit dicker feuchter Lehmkruste bedeckt, suchten wir abends ein Stündchen Schlaf in den Unterständen, in denen das Wasser stand. Vor Ungeziefer und Nässe und Kälte konnten wir nicht schlafen, stürzten ans Geschütz und lösten die todmüden Kameraden ab, nur daß wir warm wurden. […] Und dann kamen die Tage, an denen uns die Franzosen entdeckt hatten, als die Geschütze Volltreffer bekamen, als alles half und einsprang und daneben lagen und brüllten vor Schmerzen die halbverkohlten Kameraden und keiner konnte helfen.« 50
Und ein Infanterist schreibt aus der Schlacht von Verdun am 2. Juli:
»In der Stellung angekommen legten wir uns todmüde in Granatlöcher – von Schützengräben oder gar Unterständen keine Rede; das Gebiet war ja erst vor zwei Tagenerstürmt, dort lagen wir vier Tage lang zuerst ganz naß und ½ Meter tief im Dreck – ein Trommelfeuer ging auf uns los, daß es einen von einem Loch ins andere riß; die Schmerzensrufe und das Gestöhne der Verwundeten die elend zu Grunde gehen müssen; […] An ein Zurücktragen ist nicht zu denken. Tag und Nacht Granatfeuer – oft daß es in der Sekunde 10–20 Geschosse heranhagelte, uns verschüttete und wieder aufgrub. Unser Leutnant hat geweint wie ein Kind; ja wie sie da lagen, ein Fuß weg – Arme weg, ganz zerfetzt. Gott, das war furchtbar. […] Ihr könnt Euch keine Vorstellung von diesem Schrecken machen und niemand, ders nicht mitgemacht hat.« 51
Motivation und Moral, Konsens und Verweigerung
Die dominante Erfahrung der Soldaten in den Materialschlachten der Westfront war die der Angst, der Machtlosigkeit und der Erniedrigung. Anfängliche Kriegsbegeisterung machte, soweit überhaupt vorhanden, rasch weitgehender Desillusionierung und der Sehnsucht nach Frieden Platz. Der Krieg wurde als industrielles Schlachthaus erfahren, dem die Soldaten wie Tiere ausgeliefert waren, als anonyme Tötungsmaschine, in der der Einzelne nichts mehr galt und in dem es nur noch um das Überleben ging. Der Impuls, sich dem tödlichen Geschehen zu entziehen, war daher stark.
So hat es auch nicht an Verweigerungen gefehlt. Sie konnten ganz verschiedene Formen annehmen, die von der Selbstverstümmelung und der Simulation von Krankheiten über das Absondern von der Truppe im hinteren Frontbereich bis zur Desertion reichten. All das wurde jedoch an der Westfront und auch an vielen anderen Fronten nicht zum Massenphänomen. Häufiger waren Nervenzusammenbrüche und sogenannte Kriegsneurosen, die als unbewusste Formen der Verweigerung verstanden werden können. Aber auch davon waren nicht mehr als fünf Prozent der Soldaten betroffen, und viele von ihnen auch nicht dauerhaft. Viel seltener noch als individuelle waren kollektive Verweigerungen. Offene Meutereien blieben bis 1917 weitgehend aus, und wo sie auftraten, wie 1917 in einigen französischen und britischen Einheiten, richteten sie sich nicht gegen den Krieg an sich, sondern gegen einzelne Missstände wie zu seltene Pausen zwischen den Angriffen, zu wenig Heimaturlaub oder unzureichende Verpflegung. Häufiger waren stille Vereinbarungen über die Gräben hinweg, die Waffen schweigen zu lassen. Dazu kam es vor alleman ruhigen Frontabschnitten, wo sich über längere Zeit dieselben Einheiten gegenüberlagen. Offene Verbrüderung dagegen war selten und wurde von den Kommandeuren rasch unterbunden, mit der berühmten Ausnahme des
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