14 - Der große Krieg
machten vor allem deshalb weiter, weil sie ihre Kameraden nicht im Stich lassen wollten, mitunter aber auch, weil sie gefallene Kameraden rächen wollten. Die Frage nach dem Sinn des Krieges konnte dabei völlig in den Hintergrund treten. Es gab auch Soldaten, die kein starkes Interesse an einem Ende des Krieges hatten, weil zu Hause niemand auf sie wartete und ihnen das Militär zur zweiten Heimat geworden war. Der erfolglose Kunstmaler Adolf Hitler, der auch nach dem Ende des Krieges noch so lange wie möglich bei seiner Einheit blieb, ist wohl das berühmteste Beispiel für diese Entwurzeltenohne Familie, Freunde und Arbeit. Zahlenmäßig fallen diese Randexistenzen jedoch kaum ins Gewicht.
Auch religiöse Faktoren konnten eine Rolle für die Pflichterfüllung spielen. Viele Soldaten fanden Trost im Glauben und im Gebet. Auch wenn sie im Krieg ein Unglück sahen, akzeptierten sie ihn doch als Strafe und Prüfung oder als unerforschlichen Ratschluss Gottes. Diese traditionalistische Haltung religiös motivierter Resignation war vor allem bei bäuerlichen Soldaten nicht selten. Zu diesem Ethos zählte auch, im Gehorsam gegenüber der Obrigkeit ein Gebot Gottes zu sehen. Volksreligiöse Praktiken waren oft eine Stütze und erleichterten manchen das Durchhalten, und viele Soldaten trugen zum Schutz Amulette und Talismane bei sich.
Viele Soldaten kämpften überdies gerade deshalb weiter, weil sie kriegsmüde waren und nach Hause wollten. Mit jeder neuen Schlacht verband sich die Hoffnung, dass diese endlich den Durchbruch, den Sieg und damit den Frieden bringen würde. So lag gerade in der Sehnsucht nach Frieden ein wichtiges, paradoxes Motiv, um weiterzukämpfen. In diese Kerbe schlug auch die Durchhaltepropaganda, die in den letzten Kriegsjahren auf allen Seiten massiv verstärkt wurde. Sie war jedoch ein zweischneidiges Schwert, denn die Hoffnungen, die sie nährte, ließen sich nicht beliebig oft enttäuschen. Dies zeigte sich 1918 vor allem auf deutscher Seite, als die große Frühjahrsoffensive an der Westfront scheiterte, die nach dem Frieden im Osten als letzte Schlacht vor dem Endsieg angekündigt worden war.
Nicht weniger wichtig als diese positiven Antriebe zum Kämpfen waren die negativen Faktoren, die von Verweigerung und Desertion abhielten. Zum Feind überzulaufen, war lebensgefährlich, denn Soldaten, die sich ergeben wollten, waren nur schwer von Angreifern zu unterscheiden. Wer sich dem Gegner zeigte, ganz gleich in welcher Absicht, musste damit rechnen, dass auf ihn geschossen wurde. So kam es auch immer wieder vor, dass die ersten Männer einer sich ergebenden Einheit den Tod fanden. Nicht immer aus Versehen: An allen Fronten kam es vor, dass Soldaten bei der Gefangennahme gezielt erschossen wurden. Sehr häufig war dies zwar nicht, aber die Propaganda verstärkte entsprechende Gerüchte und Ängste. Und schließlich stellte auch die Gefangenschaft keine attraktive Perspektive dar. Natürlich malte die Propaganda die Zustände in den Gefangenenlagern in den düstersten Farben. Völlig verfehlt wurde die Realität dabei allerdings keineswegs immer. Überdies galten Kriegsgefangene in vielen Armeen als verkappte Deserteure, diebei ihrer Rückkehr nicht nur mit öffentlicher Entehrung, sondern auch mit peinlicher Befragung und Strafen rechnen mussten.
Kaum weniger riskant war es, sich von der Front nach hinten abzusetzen. Hier bestand die Gefahr, der Militärpolizei in die Hände zu laufen und vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden. Deserteuren drohten schwere Strafen. Aber auch die mit einem Militärgerichtsverfahren verbundene Entehrung in den Augen der Familie, Freunde und Kameraden wirkte auf viele Soldaten abschreckend. Die Selbstverstümmelung war kaum eine Alternative, denn sie war nicht nur schmerzhaft und gesundheitsgefährdend, sondern konnte auch entdeckt werden, was ebenfalls schwere Strafen nach sich zog. So galt wohl für viele, was ein deutscher Soldat, der aus dem Elsass stammte, nach einem seiner ersten Gefechte an der Westfront 1914 sich in einem Feldpostbrief von der Seele schrieb:
»Ich stand auf. Welch ein Anblick bot sich mir! […] Die Toten waren zum Teil entsetzlich anzusehen, teils lagen sie auf dem Gesicht, teils auf dem Rücken. Blut, verkrallte Hände, verglaste Augen, verzerrte Gesichter. Viele hielten die Gewehre krampfhaft in der Hand, andere hatten die Hände voll Erde oder Gras, das sie im Todeskampf ausgerissen hatten. Ich sah viele Soldaten beisammenstehen
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