1408 - Der Totenholer
Ausdruck aus dem Gesicht trotzdem nicht vertreiben konnte.
»Nichts«, sagte Harriet und trat in die Stille des Zimmers hinein.
»Hier ist nichts…«
Jack sagte nichts. Er folgte seiner Frau auf dem Fuß und schaute an ihr vorbei zum Fenster. Nur das interessierte ihn.
»Also – ich weiß nicht, Jack, aber ich sehe nichts. Wir…«
»Da!«
Das Wort war als wilder Schrei aus Jacks Mund gedrungen, denn er hatte die Gestalt entdeckt. Plötzlich war sie jenseits der Scheibe erschienen, und sie riss mit einer zackigen und schnellen Bewegung ihren rechten Arm hoch.
Dann der Stoß nach vorn.
Der Hieb traf die Scheibe, die dem Angriff nicht standhalten konnte. Plötzlich war sie nicht mehr vorhanden. Ein Schauer von Splittern regnete in das Zimmer, bevor ER sich den Weg bahnte.
Was danach geschah, war nur mit einem schlimmen Albtraum zu vergleichen…
***
ICH HOLE EURE TOTEN!
Den Satz las ich auf dem Bildschirm eines Laptops, der auf dem Schreibtisch meines Freundes Bill Conolly stand. Der Reporter selbst saß neben mir und schwieg. Nur sein leises Atmen hörte ich.
Ich nickte dem Bildschirm zu und sagte: »Das alles findet man also, wenn man im Internet herumsurft.«
»Du sagst es.«
»Und wie bist du an die Botschaft gekommen?«, erkundigte ich mich.
»Reiner Zufall.«
Ich lächelte sparsam. »Das glaubte ich nicht so ganz.«
Bill räusperte sich. »Sagen wir so, John. Es gab einen Tipp von einem Kollegen. Er hat die Seite gefunden. Er weiß auch, dass ich mich für Vorgänge interessiere, die etwas außerhalb des normalen Rahmens fallen, und da hat er mir Bescheid gegeben. Er hält den Typen für einen Witzbold. Ich allerdings weniger, wie ich dir schon am Telefon sagte.«
Ich nickte. Auch ich saß nicht zum Vergnügen an diesem Abend im Büro meines Freundes Bill Conolly. Er hatte mich sofort angerufen, nachdem er die Seite gesehen hatte, und ich hatte auch schon Nachforschungen angestellt.
Die Kollegen von der Metropolitan Police hatten mir tatsächlich erklärt, dass sie Probleme mit verschwundenen Leichen hatten und nicht wussten, wer sie sich holte.
Und nun dieser Hinweis. Unter dem Eintrag »Leichenholer«. Das war mir neu, doch mir war mal wieder klar, dass in London immer wieder etwas passierte, wenn ich nicht in der Stadt war.
Der letzte Fall hatte Suko und mich nach Südfrankreich geführt zu unseren Templerfreunden. Wieder einmal hatte sich einiges verändert. Nicht nur, dass Godwin de Salier durch die Heirat mit Sophia Blanc zum Ehemann geworden war, Sophia hatte sich auch noch als der neue Baphomet herausgestellt. Ihr war dessen Bibel übergeben worden – und das ausgerechnet von den vier Horror-Reitern. Dass man ihr die Bibel nicht gönnte, hatte sie sehr bald bemerkt, denn Saladin war im Kloster erschienen, um das Bucht an sich zu nehmen.
Er hatte Pech gehabt, denn plötzlich hatten die Horror-Reiter auf Sophias Seite gestanden und sich den Hypnotiseur geschnappt. Ohne ihr Eingreifen hätte die Bibel des Baphomet ihn vernichtet.
Aber das war Vergangenheit. Jetzt zählte die Gegenwart, und die sah ich auf dem Bildschirm, was mich nicht eben zu großen Freudensprüngen veranlasste.
»Es ist kein Witz!«, erklärte Bill.
Ich nickte. »Das stimmt. Da brauche ich nur an die Aussagen der Kollegen zu denken.«
»Ist es denn was für dich?«
»Das kann ich nicht sagen.«
»Aber es gibt jemanden, der sich Tote holt, John. Überleg mal. Das ist schon verrückt genug. Ich frage mich, was er mit ihnen anstellt. Für mich ist das pervers.«
»Und Perverse gibt es genug. Auch solche, die Spaß an Leichen haben.«
Der Reporter winkte an. »Hör auf, John.«
Unser Gespräch wurde unterbrochen, weil jemand gegen die halb offen stehende Tür klopfte. Es war Sheila Conolly, die ihren Kopf in den Raum steckte.
»Ich denke, dass ihr einen kleinen Imbiss vertragen könnt – oder?«
Bill lachte leise. »Da hast du nicht falsch gedacht. Mir knurrt schon leicht der Magen. Und dir, John?«
»Die Imbisse deiner Frau sind die besten.«
»Dann ab in die Küche!«, rief sie.
Auf einem Teller lagen die Fingerfoods, wie man so etwas neuerdings nennt. Kleine Häppchen belegt mit Lachs, Pasta oder auch Tomaten. Wasser und Rotwein hatte Stella ebenfalls für uns bereitgestellt, und so konnten wir es uns gemütlich machen.
In der letzten Zeit war ich wirklich selten bei meinen Freunden gewesen. Das hatte die Zeit nicht zugelassen, und auch jetzt war es kein rein privater Besuch, aber während des
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