1410 - Mallmanns Blut-Bräute
Spiegel gefiel ihr auch nicht. In der Tat gab sie als Widergängerin kein Spiegelbild ab, und das hatte der Junge verdammt genau erkannt.
In der letzten Viertelstunde blieb sie allein in ihrer Ecke, und sie schaute wieder aus dem Fenster, ohne viel von der Landschaft zu sehen, die der Nebel regelrecht eingedampft hatte. Aber sie erkannte schon das zweite und dritte Gleis neben dem ihren. So kündigte sich zumeist der nächste Halt an.
Sie sah auch einige Gebäude auftauchen. Verschwommen nur, aber der Zug verlor an Tempo, und die Signale huschten vorbei wie leblose Grüße.
Einige Reisende standen auf. Sie drängten sich bereits in Richtung Ausstieg. Justine hörte ihre Stimmen, entdeckte vor dem Fenster den grauen Bahnsteig und erhob sich ebenfalls.
Nach einigem Rucken stoppte der Nahverkehrszug. Die Türen an den Seiten wurden geöffnet. Eine Lautsprecherstimme war zu hören. Die Durchsage wurde in Gälisch und Englisch gegeben, und Justine, die als Alibi eine Reisetasche mitgenommen hatte, stieg ebenfalls aus.
Kaum hatte sie mit dem zweiten Fuß den Bahnsteig berührt, da musste sie einfach einen Satz in den Nebel hineinflüstern.
»Ich bin wieder da!«
***
Der Bahnhof sah nicht viel anders aus als auch die übrigen, die sie während der Fahrt kennen gelernt hatte. Der alte graue Steinbau, die Normaluhr, hölzerne Übergänge von einem Gleis zum anderen – das alles kannte sie schon.
Der Zug war wieder abgefahren, die Fahrgäste hatten den Bereich des Bahnhofs verlassen und waren in den Ort gegangen.
Nicht so die Cavallo. Sie hatte es nicht eilig. Sie stand auch weiterhin auf dem Bahnsteig inmitten der kalten Nebelschleier und musste zugeben, dass von einem Frühling hier weit und breit nichts zu sehen war.
Allerdings hatte sie schnell festgestellt, dass zum Bahnhof auch ein Pub gehörte. Er befand sich in dem Flachbau, und den musste sie bis zum anderen Ende durchgehen, um den Bahnhof zu verlassen.
Das tat sie auch und bewegte sich mit schlendernden Schritten.
Der Durst nach dem menschlichen Blut hielt sich in Grenzen, sie würde sich ganz normal benehmen, und dazu gehörte es, dass sie auch normale Getränke zu sich nahm.
Dass der Pub voll war, konnte sich Justine nicht vorstellen, und damit lag sie auch richtig.
Die Tür ließ sich recht schwer nach innen drücken. Justine erkannte, dass nur zwei Männer an der Theke standen. An den Tischen saß überhaupt niemand. Hinter der Theke stand ein hagerer Mann mit einer spiegelblanken Glatze und bekam Stielaugen, als er die Frau sah, die durch den Raum schlenderte.
Die beiden Männer an der Theke wunderten sich über das Verhalten des Wirts und drehten sich um.
Auch sie starrten Justine an wie ein Gespenst. Frauen schienen diesen Pub selten aufzusuchen.
»Haben Sie sich verlaufen?«, fragte einer von ihnen.
»Nein, Mister, ich brauche einen Schluck.« Sie schnackte mit den Fingern. Das Zeichen galt dem Wirt. »Einen doppelten Whisky.«
»Ja, sofort, Ma’am.«
»Danke.«
Justine stellte sich an die Theke. Auch wenn sie sich noch immer wie verkleidet vorkam, sie kannte ihre Wirkung auf Männer. Benahmen sich erst wie die Gockel, dann wurden sie später recht kleinlaut, wenn Justine sie mit ihren Blicken sezierte.
Genau das trat auch hier ein. Die beiden Gäste zuckten zusammen, als Justine sie offen anschaute. Einer drehte sich ab und sagte: »Ich wollte ja weg.«
»Bis morgen dann.«
»Mal sehen.«
Der Zweite legte Geld auf die Theke. Er trug die Uniform eines Eisenbahners. »Auch für mich ist Feierabend. Ich bin froh, noch im Hellen nach Hause zu kommen.«
»Das sind wohl viele neuerdings hier«, erwiderte der Wirt unglücklich.
»Kannst du laut sagen.«
Der Mann stürmte fast aus dem Pub, während der Wirt den Whisky vor Justine abstellte. Er hatte wirklich gut eingeschenkt, und die blonde Bestie nahm einen ersten Schluck.
»Gut«, lobte sie, »sehr gut.«
»Danke, Madam.« Dann folgte die übliche und etwas dümmliche Frage. »Fremd hier?«
»Wie Sie sehen.«
»Wollen Sie hier bleiben?«
»Kann sein.«
»Sie haben Verwandte?«
»Auch, aber weniger hier.« Sie trank das Glas leer. »Eigentlich bin ich auf der Suche.«
Der Wirt hob die Schultern. »Ob ich Ihnen dabei helfen kann, das weiß ich nicht.«
»Lassen wir es darauf ankommen, Meister. Ich bin früher mal in der Gegend gewesen, und da habe ich nicht weit von Tegryn einen kleinen See entdeckt, an dem eine Blockhütte stand. Gibt es den noch?«
Der Glatzköpfige zog die
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