1410 - Mallmanns Blut-Bräute
Brust zusammen und tastete zugleich nach dem Spiegel in der Tasche. Den hatte er mitgenommen, und da wollte er auch auf Nummer Sicher gehen.
Er verursachte kein Geräusch, das ihn verraten hätte. Er blieb still, und auch in der Umgebung war nichts zu hören.
Er leckte über seine Lippen, nahm Deckung bei den abgestellten Fahrzeugen und schlich auf leisen Sohlen zu einem der erleuchteten Fenster hin, denn von dort aus wollte er in die Gaststätte schauen, weil er sich gut vorstellen konnte, dass sich dort noch immer die geheimnisvolle Frau aufhielt.
Auch jetzt ging er geduckt näher. Aber sein direktes Ziel war nicht das Fenster, sondern die Außenmauer darunter. Dort wollte er sich ducken und dann…
Es kam nicht mehr dazu. Linus war froh, die Tür ebenfalls im Auge behalten zu haben, denn sie wurde nun von innen geöffnet.
Nicht hastig. Alles lief sehr langsam ab, und so konnte sich der Junge darauf konzentrieren.
Er schaute hin. Die Augen schmerzten fast vom langen Starren, und weil die Tür so bedeutsam geöffnete wurde, kam ihm der Gedanke, dass die andere Seite etwas zu verbergen hatte.
Aber wer war diese andere Seite?
Wenig später erschien eine Gestalt auf der Türschwelle, die er sofort erkannte.
Es war die Frau aus dem Zug!
Ja, da hatte er sich nicht geirrt. Der Junge erkannte den Ledermantel wieder, den sie jetzt nicht mehr geschlossen hatte.
Die Frau bewegte sich seltsam. Sie schien etwas zu verbergen, denn so wie sie verließ kein normaler Mensch ein Haus. Sie war sehr vorsichtig und streckte den Kopf nach vorn wie jemand, der eine Witterung aufnehmen will. Dann zog sie sich für einen Moment wieder zurück.
Linus hatte hinter einem der abgestellten Autos Deckung gefunden. Er schaute über die Kühlerhaube hinweg und behielt nur den Eingang im Auge. Er verstand das Verhalten der Frau nicht, aber er wusste, dass es nicht normal war, und er wollte zunächst abwarten.
Passierte etwas?
Sekundenlang geschah nichts. Dann tauchte sie wieder auf. Nun bot sie ein anderes Bild, denn sie ging leicht schräg, weil auf ihrer linken Schulter etwas lag.
Das Gewicht drückte sehr. Sie schlich aus dem Pub und zog die Tür wieder hinter sich zu.
Nachdem sie einen Schritt vorgegangen war, blieb sie stehen und schaute sich um.
So wie sie das tat, musste sie einfach ein schlechtes Gewissen haben. Ein normaler Mensch hätte sich nicht so verhalten. Sie drehte sich dann nach links, und die Last auf ihrer Schulter machte die Bewegung ebenfalls mit.
Linus blieb vor Schreck beinahe das Herz stehen. Das war ein Sack, den sie auf diese Art und Weise trug, aber es kam noch etwas hinzu. Der Sack hatte einen Inhalt, und der hatte eine bestimmte Form.
Der Junge hatte oft genug in seinen Büchern darüber gelesen. In diesem Sack musste sich ein Mensch befinden.
Ein heißer Strom schoss durch seinen Körper bis in den Kopf und rötete sein Gesicht. Erst jetzt wurde ihm klar, dass dies hier kein Spiel war. Er erlebte auch keine Szene aus einem Gruselroman, das hier war die schaurige Wirklichkeit. Die Frau aus dem Zug schaffte einen Menschen weg, und er konnte sich sehr gut vorstellen, dass es sogar der Wirt war.
Auch beim Lesen der Bücher hatte er stets eine gewisse Spannung verspürt. Die jedoch war anders als diejenige, die ihn jetzt überkommen hatte. Das war alles keine Theorie mehr, sondern die Wirklichkeit, und im Buch wusste der Held immer, wie er sich zu verhalten hatte. Hier war das ganz anders.
Wieder leckte er über seine Lippen. Das tat er immer, wenn er nervös war. Er zwinkerte auch mit den Augen, hörte sich laut atmen und sah, dass sich die Frau mit der Leiche im Sack immer mehr entfernte.
Das durfte nicht sein. Er musste eine Entscheidung treffen. Sollte er sie laufen lassen oder Alarm schlagen. Noch gab es den Constabler im Ort. Wenn der pensioniert wurde, sollte er nicht mehr ersetzte werden.
Was tun?
Die Gedanken des Jungen rasten. Er war noch immer ziemlich von der Rolle, aber er ging weiter. Es geschah aus einem plötzlichen Gefühl heraus. Er lief sogar recht schnell, wenn auch lautlos, und sehr bald sah er die Frau wieder.
Die war einfach geradeaus gegangen und hatte den Bereich der beiden Bahnsteige erreicht. Dort bewegte sie sich am Schienenstrang entlang und würde die Station bald hinter sich gelassen haben.
Und wohin würde sie dann gehen?
Linus hielt den nötigen Abstand. Er musste vorsichtig sein – und tat gut daran, denn auch die fremde Blondine war misstrauisch. Sie drehte
Weitere Kostenlose Bücher