1412 - Die Hellseherin
Emotionen litt. Er und sie waren wie Feuer und Wasser. Obwohl beide ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten hatten, passten sie nicht zusammen. Einer von ihnen war zu viel auf der Welt.
Seit Saladin aus dem Halbdunkel erschienen war, hatte sich im Haus etwas verändert. Die Atmosphäre war eine andere geworden.
Sie hatte sich aufgeladen, und es roch nach Gewalt.
Saladin blieb auch weiterhin gelassen. Er beherrschte die Szene, obwohl er nicht bewaffnet war. Er konzentriertes sich auf seine drei Gegner, denn auch Dagmar Hansen und Harry Stahl zählte er zu seinen Feinden. Er behielt auch sie im Blick. Deshalb hüteten sie sich auch davor, nach ihren Waffen zu greifen. Jede Bewegung konnte für sie lebensgefährlich werden. In diesen langen Augenblicken hatte Saladin alles im Griff, und er provozierte weiter, indem er die Finger seiner rechten Hand bewegte und Anna Lebrun lockte.
»Komm. Du hast es dir doch gewünscht! Du hasst mich! Das weiß ich genau. Du hast gedacht, dir ein kleines Imperium zu errichten zu können, weil du etwas Besonderes bist. Du hast dich sterben lassen und bist unter dem Schutz des Teufels wieder aufgestiegen. Aber auch wenn du den Teufel als Schutzpatron hast, der Mächtige hier bin ich. Und wer sich nicht unterordnen will, der muss die Folgen tragen.«
Das alles hörte sich nicht eben kompromissbereit an. Saladin fürchtete sich auch nicht vor den Dienern der Hölle. Er zog seine eigene Schau ab, auf deren Bühne er keine Fremden duldete.
Anna Lebrun zögerte. Möglicherweise dachte sie auch nach. Und es konnte sein, dass sie unter den Worten litt. Sie war bisher diejenige gewesen, die das Spiel kontrolliert hatte. Jetzt musste sie erkennen, dass man sie niedermachte.
»Bitte, Anna, ich warte. Ich habe dir schon mal zu verstehen gegeben, dass du dich mir unterstellen sollst. Du hast es nicht getan, aber ich werde nun die Verhältnisse ändern, ohne dass du etwas dagegen unternehmen kannst…«
Anna Lebrun hatte jedes Wort verstanden. Und jedes davon war eine Demütigung. Sie musste reagieren. Entweder gab sie auf, oder sie widersetzte sich und fand dabei möglicherweise den Tod.
Sie entschied sich.
Sie stieß einen schrillen Schrei aus und nahm auf nichts und niemanden Rücksicht.
Sie wollte die Entscheidung.
Mit gewaltigen Sätzen rannte sie auf den Hypnotiseur zu. Weiterhin schrie sie, während sie furienartig ihr menschliches Ziel ins Visier nahm, um es niederzustechen.
Der letzte Sprung vor dem Stich. Anna Lebrun hatte die beiden Stichwaffen bereits gesenkt, sodass sie jetzt in einem günstigen Winkel auf den Körper zielten.
Genau da erwischte sie die volle Kraft des Hypnotiseurs. Auch die beiden Zuschauen erlebten die Veränderung. Was vor ihren Augen ablief, schockte sie, denn die Angreiferin erwischte es mitten im Sprung.
Sie stieß nicht mehr zu. Die Kraft verließ ihren Körper. Dieser kurze, aber so verdammt intensive Blick hatte sie getroffen und aus dem Gleichgewicht gebracht.
Der Sprung wurde unterbrochen. Sie fiel dem Boden entgegen. Die Waffen waren ihr plötzlich im Weg, und sie stolperte darüber.
Dann lag sie am Boden. Auf dem Bauch, ausgestreckt und bewegungslos. Der Degen war ihr aus der Hand gerutscht, das Schwert hielt sie noch fest.
Aber sie sprang nicht mehr hoch. Sie rührte sich nicht.
Anna Lebrun waren die Grenzen aufgezeigt worden, und sie stand unter der Kontrolle des Hypnotiseurs.
Das wussten auch Dagmar Hansen und Harry Stahl. Möglicherweise hätten sie nun Zeit gehabt, ihre Waffen zu ziehen, doch auch sie litten noch unter der Überraschung und standen unter Schock.
Denn Saladin zu erleben, das war nicht jedermanns Sache.
Er hatte alles im Griff. Er stand im Raum. Er schaute sich um, kümmerte sich nicht um die Frau am Boden, sondern wandte sich den beiden anderen Menschen zu.
»Wer seid ihr?«
Ihnen musste blitzschnell eine Ausrede einfallen, die auch plausibel klang.
Dagmar war die Schnellere. »Wir… ähm … wir waren mit Anna Lebrun verabredet.«
»Ach ja. Und weshalb?«
»Sie wollte uns helfen!«
»Wobei?«
Dagmar sprach weiter. »Wir müssen eine Entscheidung treffen, was unsere gemeinsamen Weg angeht, deshalb wollten wir ihren Rat.«
»Man geht also zur Hellseherin.«
»Ja, das tut man.«
»Es ist euer Pech, dass ihr euch zur falschen Zeit am richtigen Ort aufhaltet. Manchmal ist es nicht gut, wenn man zu viel sieht. Wie sind eure Namen?«
Ohne sich abgesprochen zu haben, blieben Dagmar und Harry auf der gleichen
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