1412 - Die Hellseherin
Harry konnten sich darüber freuen. Es roch plötzlich nach Gewalt. Was sie mit der Hellseherin bisher alles erlebt hatten, da mussten sie einfach davon ausgehen, dass sie es ernst meinte.
Sie stemmte die Spitzen der Waffen gegen die Tischdecke. Das Licht fing sich auf dem blanken Metall, und beide Besucher sagten zunächst nichts, weil sie zu überrascht waren.
»Ich liebe die archaischen Waffen«, erklärte die Hellseherin. »Ich habe sie von einem Klienten als Geschenk bekommen, weil ich ihm geholfen habe. Es war übrigens ein Politiker, der sich sehr nach meinem Rat gerichtet hat. Nur so hat er den letzten Wahlkampf bestanden. Ich erfuhr von seiner Waffensammlung, und als ich mein Interesse zeigte, erlaubte er mir, dass ich mir zwei Stücke aussuchte. Ich habe sie sehr in Ehren gehalten…«
Dagmar flüsterte: »Haben Sie damit schon getötet?«
»Nur in Gedanken. Aber ich würde mich nicht scheuen, es in der Realität auch zu tun.«
Harry und Dagmar glaubten es ihr aufs Wort. Hier stand eine Frau vor ihnen, die eiskalt ihren Weg ging und die sich durch nichts davon abbringen ließ.
Sie legte die Waffen wieder zurück auf den Tisch und schaute lächelnd auf sie herab.
»Und was ist, wenn Sie es nicht schaffen?«, fragte Dagmar.
»Wenn wir es nicht schaffen, müssen Sie fragen. Dann sind wir drei tot. Saladin wird keine Gnade kennen. Also strengen Sie sich an. Auch in Ihrem Sinne.«
»Wir haben mit Saladin nichts zu schaffen«, erklärte Harry. »Er ist Ihr Problem.«
»Sie irren sich!«
»Nein, wir…«
»Sie irren sich trotzdem!«
Die Frau hatte so laut gesprochen, dass es Harry die Sprache verschlug. Anna Lebrun wirkte nervös. Es war ihr nicht möglich, noch auf dem Fleck stehen zu bleiben. Immer wieder drehte sie den Kopf.
Die Besucher interessierten sie nicht mehr. Sie suchte nach einer anderen Person, blieb wieder stehen, als sie den Tisch erreichte, und riss die beiden Waffen an sich.
Ihre Gesicht hatte einen starren und zugleich entrückten Ausdruck angenommen. Dabei schaute sie in den Hintergrund des großen Raums, der mehr im Schatten lag.
»Er ist da«, flüsterte sie. »Ja, verdammt, Saladin ist da…«
***
Die letzten Meter liefen Glenda und ich schneller und gelangten von der Seite her auf den kleinen Platz vor dem Haus.
Als ich einen Blick durch eines der Fenster werden wollte, stellte ich fest, dass sie verdunkelt waren. Von innen her waren die Vorhänge zugezogen worden.
Glenda stand eine Körperlänge von mir entfernt. Ohne ihren Platz zu verlassen, drehte sie sich, weil sie in alle Richtungen schauen wollte. Mich interessierte mehr der angestellte Wagen.
Ich hatte jetzt erkannt, dass es ein Opel war. Ein Omega.
Ich dachte daran, dass auch mein deutscher Freund Harry Stahl einen derartigen Wagen fuhr.
Das konnte nicht sein – oder…?
Mit drei Schritten erreichte ich das Heck des Wagens und bückte mich, um das Nummernschild zu lesen.
WI stand für Wiesbaden.
Dann las ich die Nummer – und hatte das Gefühl, von einer unsichtbaren Keule getroffen worden zu sein.
Ich kannte die Autonummer und wusste Bescheid. Der Wagen gehörte Harry Stahl…
***
Harry Stahl erhob sich von seinem Stuhl und drehte sich nach links.
Seine Waffe ließ er noch stecken, denn er wollte auf keinen Fall Gewalt provozieren.
Zu hören war nichts. Nur traute Harry dieser Hellseherin einiges zu und ging deshalb davon aus, dass sie sich nicht geirrt hatte.
»Sehen Sie ihn denn?« Dagmars Frage war nur ein Flüstern.
»Er ist da!«
»Aber die Tür ist geschlossen.«
»Die braucht er nicht.«
Da hätte sie Recht. John Sinclair hatte den beiden einiges über Saladin berichtet. Er war in der Lage, sich auf eine ungewöhnliche Art und Weise zu bewegen.
Er kam tatsächlich. Es war nichts zu hören. Keine Trittgeräusche, auch kein Schleichen, aber in dem Halbdunkel bewegte sich etwas, und das kam näher.
Noch war es nicht mehr als eine schattenhafte Gestalt. Ein Umriss, der in der Luft zu schweben schien. Es wurde nicht gesprochen, ja, kaum geatmet, und Harry spürte den Griff der Finger an seinem rechten Ellbogen. Dort hielt Dagmar sich fest.
Sekunden später erhielten sie den Beweis. Einer war gekommen, und es handelte sich um eine Person, die so gut wie einmalig war.
Sie trug dunkle Kleidung. Aus dem Halsausschnitt wuchs der kahle Kopf des Hypnotiseurs. Dazu gehörte das runde Gesicht mit der glatten Haut und den eingedrückten Nasenfalten, die mit ihren unteren Enden an den beiden
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