1412 - Die Hellseherin
Linie.
Sie gaben ihre Namen mit einer unsicher wirkenden Stimme bekannt. So hofften sie, Saladin täuschen zu können.
Der Hypnotiseur nahm die Antworten hin, ohne zunächst einen Kommentar abzugeben. Dafür schaute er sie an und schaffte es sogar, beide in seinem Blick zu behalten. Die Lippen hatten sich zu einem leichten Lächeln verzogen, als er den Kopf schüttelte und schließlich sprach.
»Es ist schon seltsam, aber ich habe das Gefühl, euch nicht trauen zu können. Ich weiß nicht genau, was es ist, aber etwas stimmt nicht. Auf mich macht ihr keinen so harmlosen Eindruck.«
Jetzt übernahm Harry das Wort. »Was soll das denn? Wir sind nur gekommen, um uns helfen zu lassen. Was ist daran so schlimm? Was haben wir mit Ihnen zu schaffen? Wir kennen Sie nicht.«
»Ich bin Saladin. Ich bin jemand, der die Kräfte der Welt revolutionieren kann. Ich bin in der Lage, mit den Menschen zu spielen und sie nach meinen Regeln leben zu lassen. Schaut auf die Lebrun. Sie liegt dort am Boden, und sie würde da so lange liegen bleiben, bis sie vollständig verwest ist, wenn ich es so wollte. Sie steht unter meinem Bann. Sie macht alles, was ich will. Sollte ich mich dazu entschließen, euch umzubringen, dann muss ich nicht selbst Hand anlegen. Das wird dann sie für mich übernehmen. Alles, was ich will, tut sie.« Er lächelte kalt und hinterlistig. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich euch überzeugt habe, deshalb werde ich es euch in der Praxis beweisen. Wir werden ein Spiel aufführen, in dem ich der Regisseur bin. Denn ihr sollt erleben, was es heißt, die wahre Macht zu haben.«
»Das brauchen wir nicht«, flüsterte Dagmar Hansen. »Wir glauben Ihnen auch so.«
»Nein, ich will es anders. Und ich dulde keine eigene Meinung. Verstanden?«
Diesmal sprach wieder Harry. »Es ist gut. Wir haben alles begriffen. Tun Sie, was Sie nicht lassen können.« Für ihn war wichtig, dass er Saladin ablenkte und dabei bei Laune hielt.
Saladin war nicht nur ein Spieler. Er hatte zudem noch eine andere Eigenschaft. Er war sehr eitel, und genau diese Eitelkeit zeigte sich auch in seinen Reaktionen. Wenn eben möglich, präsentierte er sich.
Hier hatte er die perfekte Bühne dafür.
Er trat einen kleinen Schritt zurück und drehte sich dabei zur Seite, damit er die am Boden liegende Frau ansprechen konnte.
»Anna!«
Sie zuckte leicht zusammen. Sogleich war die Starre bei ihr verschwunden.
»Hörst du mich?«
»Ja.«
»Du weißt, wer ich bin?«
»Ich weiß es.«
»Und dir ist klar, dass du mir von nun an gehorchen musst?«
»Es ist mir klar«, erwiderte sie mit tonloser Stimme. Sie stand nicht auf, denn für jede Handlung brauchte sie einen Befehl Saladins, und noch hatte er ihr nicht befohlen, sich zu erheben.
»Du kannst jetzt hochkommen!«
Die Helleseherin stemmte sich in die Höhe. Sie zog dabei zunächst die Arme an, stützte sich auf, drehte sich zur Seite und erhob sich schließlich aus dieser Drehung.
Es war ein insgesamt langsamer Vorgang. Wenn ein Mensch aus einem tiefen Schlaf erwacht, reagiert er ähnlich, und so dauerte es auch bei ihr eine gewisse Zeit, bis sie auf den Beinen stand und nach vorn schauen konnte.
Anna Lebrun war nicht verletzt. Den Fall hatte sie gut überstanden. Beim Aufstehen hatte sie auch die zweite Waffe losgelassen und bückte sich auch nicht, um sie aufzuheben.
»Mein Gott«, hauchte Dagmar Hansen nur.
Harry wusste genau, was sie damit meinte. Auch seine Gedanken glitten in diese Richtung. Beide hatten die Frau als eine sehr von sich und ihren Kräften überzeugte Person erlebt – und nun das. Sie stand da wie ein kleines Kind, das darauf wartet, dass man ihm sagt, was es machen soll. Sie schaute zwar nach vorn, doch zugleich war ihr Blick ins Leere gerichtet, weil sie von ihrer eigentlichen Umgebung kaum etwas wahrnahm.
»Sag deinen Namen!«, forderte der Hypnotiseur und trieb das Spiel bis auf die Spitze.
»Ich heiße Anna Lebrun!«
»Sehr gut. Bist du bereit, alles für mich zu tun?«
»Das bin ich!«
»Du würdest auch für mich töten!«
»Ja!«
»Dann wirst du dich jetzt bücken und das Schwert aufheben! Hast du verstanden?«
»Ja!«
Die Hellseherin bückte sich und hielt bald darauf den Griff des Schwerts umklammert. Es war eine recht schlichte Waffe, ohne irgendwelche Verzierungen, und sie hielt die Waffe so, dass die Spitze zu Boden zeigte, sie selbst aber ihren Blick auf Saladin gerichtet hielt.
»Dreh dich so, dass du die beiden Besucher sehen
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