1412 - Die Hellseherin
rechten Zeigefingers abgeschnitten und sie der Familie geschickt.
Die Entführung war nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Polizei und Geheimdienste hatten dicht gehalten, aber im Hintergrund fieberhaft gearbeitet.
So war auch Harry Stahl mit involviert worden, als man keinen Erfolg erreichte. Der Mann, der für die Regierung arbeitete, wie man immer so schön sagte, und der dann eingesetzt wurde, wenn die Fälle den normalen Rahmen sprengten, hatte sich auf Geheiß des Ministers mit einer andere Seite des Falles beschäftigen müssen.
Bei den Eltern des Entführten waren ungewöhnliche Schreiben eingegangen, deren Inhalte aus wirren Texten bestanden. Da war von Opfern für die Hölle die Rede gewesen. Von einer großen Abrechnung, die schon jetzt begonnen hatte und das Jüngste Gericht einläuten sollte.
Der Papst ist tot, aber der Teufel lebt!
Damit waren die Schreiben unterzeichnet worden.
Mehr hatte Harry Stahl nicht an Informationen bekommen.
»Ein Fall für sie!«, hatte der Innenminister zu Harry Stahl gesagt.
»Ich weiß, dass Sie ein Mensch sind, der sich um Fälle kümmert, die mit normalen Methoden nicht zu knacken sind. Deshalb versuchen Sie es auf Ihre Art und Weise. Denken Sie daran, dass die Zeit drängt. Wenn der Junge stirbt und die andere Seite gewinnt, kann das die Ouvertüre zu Dramen sein, die wir uns alle nicht wünschen.«
Harry hatte nach eventuellen Hintermännern gefragt und natürlich auch nicht die Terrorszene außer Acht gelassen.
Die Antwort hatte ihn nicht befriedigen können. »Alles ist möglich, Herr Stahl.«
Im Büro des Ministers hatte Harry noch gelächelt, doch nach dem Verlassen des Orts hatte er nur fluchen können.
Die Zeit drängte, aber wo sollte er anfangen?
Er wusste es nicht. Er hatte sich über Stunden hinweg mit seiner Partnerin Dagmar Hansen besprochen, aber auch sie hatte ihm keinen Weg zeigen können, und so war Harry Stahl versucht gewesen, den Auftrag hinzuwerfen.
»Das hat alles keinen Zweck. Was ein mächtiger Apparat nicht schafft, soll ich nun richten.«
»Ja, das wird problematisch sein.«
»Dann gehe ich morgen los und schmeiß die Sache.«
»Würde dich das denn befriedigen?«
»Nein, ganz und gar nicht.«
»Eben.«
»Und was soll ich tun?«
Dagmar, die Frau mit den naturroten Haaren, hatte ihn angelächelt und dann gesagt: »Am besten ist es, wenn du noch mal eine Nacht darüber schläfst, und morgen früh…«
»Falls ich schlafen kann.«
»Klar, aber du solltest es zumindest versuchen.«
Da Harry Stahl keine bessere Idee hatte, hatte er nachgegeben. Er war ins Bett gegangen und hatte dort auf dem Rücken gelegen und gegen die Decke geschaut. Schlaf konnte er nicht finden. Die Gedanken wirbelten durch seinen Kopf, und er merkte auch, dass die neben ihm fliegende Dagmar ebenfalls keinen Schlaf finden konnte, auch wenn sie regelmäßig atmete.
Gegen vier Uhr kam der Anruf. Da war Harry Stahl gerade für einige Minuten weggesackt. Jetzt schreckte er auf und griff nach dem Schnurlostelefon, das auf seinem Nachttisch lag.
»Ja, wer ist da?«
»Sie sind Harry Stahl, nicht?«, hörte er eine Frauenstimme sagen.
»Genau der.«
»Das ist gut.«
»Ob es gut ist, weiß ich noch nicht. Ich frage mich nämlich, was Sie von mir wollen?«
»Ich möchte Ihnen zu einem Erfolg verhelfen.«
»Sehr gut. Und wie, bitte? Wollen Sie mir die Lottozahlen für das nächste Wochenende durchgeben?«
»Reden Sie keinen Unsinn, Harry. Es geht um Ihren Fall, der Ihnen aufgetragen wurde. Sie wissen genau, was ich meine. Da brauche ich keine Namen zu nennen.«
Harry war auf einmal hellwach, und er sagte nur: »Reden Sie.«
»Ich weiß, wo der Junge ist!«
»Oh…« Blitzschnell dachte Harry nach. Da der Fall nicht an die Öffentlichkeit gelangt war und nur sehr wenige Menschen Bescheid wussten, konnte es auch keine Trittbrettfahrer geben. Deshalb war auszuschließen, dass die Frau sich einfach nur wichtig machen wollte.
»Haben Sie gehört?«
»Ja, schon.«
»Ich weiß auch, dass Ihr Telefon nicht abgehört wird. Wir können uns also in aller Ruhe unterhalten. Ich will Ihnen helfen, Harry.«
»Okay, ich höre.«
»Ich weiß, wo man Oliver versteckt hält!«
Harry schwieg. Er schaute Dagmar Hansen an, die über Lautsprecher mitgehört hatte. Den hatte er inzwischen mit einem Knopfdruck aktiviert.
»Glauben Sie mir nicht?«
»Wer sind Sie?«
»Jemand, der es gut mit Ihnen meint.«
»Sie soll ihren Namen sagen«, flüsterte Dagmar.
»Mit wem
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