1418 - Grabgesang der Geistermönche
geben musste.
Etwa fünf Minuten vor dem Zeitpunkt erhob er sich von seinem Platz. Einen letzten Blick gönnte er der Statue, und dabei huschte ein Lächeln über seine Lippen.
Es war ein Abschied, das wusste er, aber er sah ihn nicht für immer an. Auf irgendeine Art und Weise würde der Erzengel stets an seiner Seite sein, und das nicht nur in der Form des Kreuzes, auf das er sehr setzte. Für ihn war es die Trumpfkarte. Wenn er sie zog, dann konnte ihm nichts passieren.
Michael Meier schlenderte auf sein Ziel zu. Es war der Eingang zur Schwemme. Er betrat sie nicht sofort.
Einen letzten Blick schickte er über das Land. Die Gegend lag vor ihm wie ein Gemälde. Die Hügel, die kleinen Orte dazwischen, das graue Band des Mains, dazu der Himmel, der einen rötlichen Farbton durch die allmählich untergehende Sonne angenommen hatte, all das erinnerte ihn an eine Postkartenidylle. Der Abend war da. Er würde lang werden, aber würde auch eine gewisse Ruhe bringen und ließ die Menschen aufatmen.
Letzte Gäste kamen aus der Schwemme. Einige von ihnen hatten zu viel Bier getrunken. Sie wirkten aufgedreht und zugleich angeheitert. Viele Stimmen redeten durcheinander. Manchmal war auch ein Lachen zu hören, was Michael nicht gefiel, denn er verzog des Öfteren die Lippen. Bevor die Schwemme geschlossen wurde, musste er sie betreten haben, und er schaute sich um, ob jemand vom Personal in der Nähe war. Zu sehen war nichts, und so huschte er durch die Tür.
Er ging nicht durch bis zum Lokal. Im Eingansbereich gab es eine breite Treppe, die nach unten führte. Dort befanden sich die Toiletten. Er wusste dies, obwohl er noch nie hier gewesen war. Aber er hatte die alten Pläne gut studiert. Sein Großvater hatte sie ihm als Erbe überlassen, und baulich hatte sich nicht viel verändert. Es war sicherlich etwas modernisiert worden, aber das war auch alles.
Ein Mann kam ihm entgegen, der Mühe hatte, seinen Hosenstall zu schließen. Er war angetrunken, glotzte Michael an und riet ihm, sich zu beeilen.
»Da wird gleich dicht gemacht.«
»Ja, ich weiß.«
»Dann gute Verrichtung.«
Der Mann ging die Treppe hoch. Es war mehr ein Schwanken, und er konnte froh sein, sich am Geländer festhalten zu können, sonst wäre er abgerutscht.
Michael Meier nutzte seine Chance. Er steuerte nicht auf eine der beiden Toilettentüren zu, sondern auf eine andere, auf der die Aufschrift »Privat« stand.
Jetzt musste er nur das Glück haben, dass sie offen war. Wenn nicht, dann würde er versuchen, sie mit dem Schwert aufzubrechen.
Sie war offen, und er konnte ein leises Lachen nicht unterdrücken.
Von oben her hörte er die Stimme eines Mannes, der erklärte, dass er sich unten umsehen wollte.
Für Michael wurde es Zeit zu verschwinden. Er öffnete die Tür und tauchte ab in einen dunklen Raum, der als Lager diente. Sehen konnte er nichts. Es gab kein Licht und kein Fenster, durch das Helligkeit gesickert wäre.
Sein Instinkt riet ihm, sich ein Versteck zu suchen. Da er kein Licht hatte, tastete er sich im Dunkel vor. Er machte es genau richtig. Er stellte sich schnell in den toten Winkel der Tür an die Wand und blieb dort stehen.
Die Tür war nicht so dicht, als dass er die Schritte vom Flur her nicht gehört hätte. Da kam jemand, um zu kontrollieren. Michael hörte das Pfeifen des Mannes, dem die Arbeit wohl Spaß machte. Er kontrollierte die Toilettenräume, und es war damit zu rechnen, dass er auch die dritte Tür öffnete.
Meier hielt den Atem an.
Er schrak zusammen, als Sekunden später die Tür nach innen gestoßen wurde. Lichtschein fiel in den Raum. Es wurde heller, als der Kontrolleur das normale Licht einschaltete. Wenn er jetzt weiter nach vorn ging und sich dann umdrehte, war es mit seinem Plan vorbei. Das wusste er genau.
Aber es trat nicht ein. Der Mann blieb auf der Stelle stehen und gönnte sich nur einen Rundblick. Für die Dauer einiger Sekunden hielt die Spannung an, dann schloss der Kontrolleur die Tür wieder, und Michael konnte aufatmen. Es war besser gelaufen, als er es gehofft hatte.
Tief durchatmen. Keine Nervosität aufkommen lassen.
Er spürte das leichte Zittern, und auf seiner Haut lag der kühle Schweiß.
Er wartete noch eine gewisse Zeit ab, bevor er sich von seinem Platz löste. Der Kontrolleur hatte das Licht eingeschaltet und es dann wieder gelöscht. Es gab einen Schalter, und genau den suchte Michael. Er musste sich an der anderen Seite der Tür befinden. Er schob sich an der Tür
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