142 - Der Bluttempel
Izeekepir-Weibchen durch den Wald. Als hätte er nichts zu befürchten.«
»Wahrscheinlich hat er das auch nicht«, behauptete Matt.
»Ein Vogelfänger muss sich in seinem Jagdgebiet wie in seiner Westentasche auskennen.«
»Mag sein. Aber selbst wenn es so wäre – ein Mann mit zu viel Selbstvertrauen unterschätzt meist seine Gegner.«
Wie so oft wusste er keine Antwort auf eine ihrer vielen klugen Behauptungen.
Neuerlich beglückwünschte er sich zu der Entscheidung, auf Aruulas Wunsch eingegangen zu sein, nicht mit dem EWAT zu reisen. Trotz der widrigen Umstände genossen sie beide die Momente und Stunden. Und – er musste ihr erneut Abbitte leisten – sie hatten bereits mehr über die Noskopzen herausgefunden, als er in der kurzen Zeit zu hoffen gewagt hatte.
Instinktiv rieb er über den kleinen Glücksbringer, den ihm Xej um den Hals gebunden hatte: eine kleine Babooshka. Eine Frauenfigur mit weit ausladenden Hüften und aufgemaltem Gesicht, in deren Hohlkörper ein noch kleineres Ebenbild steckte.
»Als Vogelfänger bin ich gut«, schallte plötzlich eine volle Stimme durch den Wald, »ich fang sie ein und nehm das Blut. Ich Vogelfänger bin bekannt, bei Alt und Jung im ganzen Land. Weiß mit den Netzen umzugehn, weiß ihre Hälse umzudrehn. Drum kann ich froh und lustig sein, denn alle Vögel sind ja mein…«
(Beginn der Arie des Papageno aus »Die Zauberflöte« von W.A. Mozart, leicht abgeändert)
Ein groß gewachsener, breiter Mann kam forschen Schrittes näher und grinste übers ganze Gesicht. »Wudan zum Gruße!«, rief er und achtete nicht weiter auf die Aufregung, die er im sonst so stillen Wald verursachte. »Was für eine Freude, einem so prächtig gebauten Vöglein in den heimischen Wäldern zu begegnen«, sagte er zu Aruula und musterte Matt mit einem kurzen Seitenblick. »Ist dieser schmalbrüstige Mann neben dir dein Sklave oder dein Herr?«
»Mal dies, mal das«, antwortete Aruula anzüglich, ohne das Gesicht auch nur zu verziehen. »Läufst du immer wie ein wild gewordener Efrant umher?«
»Was soll ich schon zu befürchten haben? Mit meiner Stimme vertreibe ich das feige Getier, und mit diesem Zahnstocher hier« – er hielt eine mehr als zwei Meter lange Eisenlanze in die Höhe – »jenes, das dumm genug ist, mich trotzdem anzugreifen.«
»Und wie steht es mit dem gefährlichsten aller Raubtiere?«, fragte Matt. »Dem Menschen?«
Der Mann lachte schallend. »Wer mich kennt, der liebt mich.« Er zwinkerte der Barbarin zu. »Und wer mich nicht kennt, lernt mich binnen kurzem zu lieben.« Erneut zwinkerte er, jetzt zwei Mal.
»Wenn du meiner Frau weiterhin so schöne Augen machst«, knurrte Matt, »könnte es sein, dass deine kleine Theorie mächtig ins Wanken gerät.«
Der Vogelhändler ließ sich keineswegs aus der Ruhe bringen. »Ist schon gut, meine beiden Hübschen. Ich scherze bloß.« Er seufzte theatralisch. »Es gibt nicht viel Ansprache hier in den Wäldern. Deswegen freue ich mich über menschliche Gesellschaft. Ihr seid doch Menschen?«
»Warum fragst du?«
»So groß und einsam das Land auch sein mag – Gerüchte reisen schneller als der Wind. Ich habe von Dampfwesen aus dem fernen Nordosten gehört, die sich in Menschenhaut verbergen.«
Matt horchte auf. Also verbreiteten sich die Neuigkeiten auch hier, weitab der Brennpunkte des Geschehens.
Gut so.
»Wenn wir… Dampfwesen wären, würdest du längst sterbend auf deinem breiten Rücken liegen«, entgegnete Aruula, »oder von ihnen übernommen und beeinflusst sein. Sei also froh, normalen Menschen gegenüber zu stehen.«
Der Vogelhändler trat näher an sie heran. Er überragte Matt um einen halben Kopf. Sein kantiges Gesicht war von vielen winzigen Narben verziert, ebenso wie Hände und Arme. Das füllige blonde Haar hielt er streng nach hinten gekämmt. Blaue Augen, in denen der Schalk lauerte, betrachteten ihn interessiert. »Ich bin Popovgeno, der Reisende. Weithin nennt man mich den Vogelhändler.«
Er schüttelte zuerst Aruula sanft die Hand. Dann langte er bei Matt ohne eine sichtbare Kraftanstrengung zu, die den Commander beinahe in die Knie zwang.
»Aruula und ich haben von dir gehört«, quetschte er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. »Xej, der Köhler, hat uns gesagt, dass du hier jagst und bald nach Staritsa abreisen wirst.«
»Stimmt. Ich habe dort… Geschäfte zu erledigen.«
»Mit den Noskopzen?«
»Ja.« Ein Schatten zog über sein Gesicht. »Ich handle nicht gerne mit
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