1420 - Der Geisterhenker
auf der Stelle.
Wieder schrie ich ihr die Warnung zu!
Die Frau hörte nicht oder wollte nicht hören. Ich wusste nicht, was ich noch unternehmen sollte. Während des Laufens drehte ich mich um, um einen Blick auf das Beil zu werfen.
Mein Herzschlag raste, denn jetzt hatte sich die Perspektive verändert. Es war näher gekommen, und es hatte seine Höhe beibehalten.
Wenn es so weiterflog, würde es meinen Hinterkopf erwischen.
Ich spielte mit dem Gedanken, mich zur Seite zu werfen und die Waffe an mir vorbeifliegen zu lassen. Es wäre eine Lösung gewesen, aber ich konnte den Gedanken nicht in die Tat umsetzen. Es blieb alles beim Alten. Ich lief wie von einem Motor angetrieben, und ich wurde auch weiterhin von der tödlichen Klinge verfolgt. In meinem Kopf brauste es. Ich spürte auch den eigenen Herzschlag überlaut, aber es veränderte sich nichts.
Weiter – oder…?
Nein, es ging nicht mehr. Die Joggerin war plötzlich sehr nahe.
Noch ein paar Schritte, und wir würden zusammenstoßen. Einer von uns musste jetzt ausweichen.
Ich sah für einen Moment ihr Gesicht. Keine besonderen Merkmale waren darin zu erkennen. Ein Dutzendgesicht. Die Frau mochte um die vierzig sein, und sie quälte sich voran.
»Hauen Sie ab!«, brüllte ich sie an. »Gehen Sie in Deckung, verdammt noch mal!«
Sie hörte mich nicht. Sie lief weiter. Eigentlich hätten wir schon längst auf gleicher Höhe sein müssen. Ich sah die Frau, sie sah mich.
Ich streckte ihr die Arme entgegen, um sie abzufangen. Dann hörte ich an meinem rechten Ohr ein Rauschen, als mich das Beil überholte.
Es flog, es flog weiter – und es flog einem neuen Ziel entgegen.
Ich konnte nichts tun. Das Beil blieb auf seinem Weg, und es wich nicht einen Millimeter von seiner Flugbahn ab.
Mit voller Wucht schlug die Klinge in die Stirn der Frau ein!
Es war der Augenblick, an dem sich alles veränderte. Ich rannte weiter, aber ich bewegte mich dabei auf der Stelle. Dafür sah ich die blondhaarige Frau vor mir, die sich nicht mehr bewegte und wie eine Statue vor mir stand, in der Stirn die Klinge der Axt!
Sie brach nicht zusammen. Die Arme hielt sie gespreizt. Die Augen waren weit geöffnet und ungewöhnlich verdreht. Ich konnte meinen Blick nicht von der Stirn lösen und sah erst jetzt die dicke rote Flüssigkeit, die sich aus zwei dünnen, roten Fäden zusammensetzte, zu beiden Seiten der Klinge hervorquollen.
Anfassen konnte ich sie nicht, auch wenn ich es versuchte. Meine Arme ließen sich kaum bewegen. Ich spürte eine ungewöhnliche Schwere auf ihnen lasten.
Ich wollte sprechen.
Es ging nicht.
Ich wollte gehen.
Auch das schaffte ich nicht!
Und dann kippte die Frau mit der Waffe im Kopf nach vorn. Sie fiel mir wie ein Brett entgegen, als wollte sie, dass ich sie auffing.
Ich tat es auch – und alles verschwand radikal. Die Frau, die Welt und ich…
***
Mit einem Schrei auf den Lippen fuhr ich in die Höhe. Plötzlich war alles anders geworden oder wieder in die Normalität gerückt. Ich lag nicht mehr in einer anderen Welt, sondern bei mir zu Hause im Schlafzimmer und im Bett.
Und diesmal hörte ich meinen Atem. Er ging keuchend, und ich merkte auch, dass Schweiß meinen Körper von den Füßen bis hin zum Ansatz der Haare bedeckte.
Geträumt hatte ich schon oft. Das passiert jedem Menschen. Aber einen Traum wie diesen hatte ich selten gehabt. Er hatte mich auf eine schlimme Art und Weise mitgenommen. Ich fühlte mich wie mit Blei ausgefüllt. Alles an mir hatte doppeltes Gewicht bekommen, und ich konnte mich kaum bewegen.
Ich blieb auf dem Rücken liegen. Den Blick hatte ich gegen die Decke gerichtet, die ich nur als schwachen Fleck über mir sah. Das innere Zittern hörte nicht auf, und ich schaffte es auch nicht, die Bilder aus meinem Traum zu verdrängen.
Das Beil, die Frau, meine Flucht, und schließlich der Tod der Frau.
Denn dass sie tot war, das war klar. So etwas konnte kein Mensch überleben.
Warum hatte ich diese Szene, in der ich zudem Mittelpunkt war, so geträumt?
Ich suchte nach Erklärungen und kam zu einem ersten Ergebnis.
Möglicherweise wollte jemand mir eine Botschaft schicken und mich durch sie auf etwas hinweisen. Wenn das der Fall war, dann konnte der Traum durchaus einen Kern Wahrheit beinhalten.
Ja, es musste eine Vorwarnung sein. Man wollte mir etwas klar machen, mich auf eine gewisse Sache hinweisen, die kam oder vielleicht noch kommen würde.
Wie dem auch sei. Ich musste zunächst mal mit dem fertig
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