1420 - Der Geisterhenker
sie nicht. Im Hintergrund stand nur die Rettung ihres Chefs.
Das waren keine Sekunden mehr, die ihr blieben, das war eine noch geringere Zeitspanne.
Die Klinge des Beils jagte nach unten – und Glenda Perkins verschwand von der Bildfläche…
***
Wir waren ja schon oft zu unserem Chef gelaufen, doch niemals in einem Tempo wie heute. Das heißt, Suko schaffte es schneller. Ich konnte nur auf seinen Rücken schauen. Wir hatten es verdammt eilig, aber die Strecke kam uns plötzlich unendlich lang vor.
Im Gang befand sich niemand. Wir hatten freie Bahn, und es wäre auch alles normal verlaufen, wäre da nicht plötzlich etwas passiert, das selbst uns überraschte.
Im Gang erschien plötzlich eine Frau – Glenda Perkins. Und sie lief uns nicht entgegen, denn sie war plötzlich da. Zwar wirkte sie nicht wie vom Himmel gefallen, sondern wie aus der Luft hervorgeholt. Sie materialisierte sich. Wir sahen zuerst das Flimmern, das jedoch nicht lange anhielt und sehr schnell eine feste Form annahm, sodass sich der Körper entwickeln konnte.
Glenda stand zwar, doch sie lehnte mit dem Rücken an der Wand.
Ihr Gesichtsausdruck glich dem einer fremden Person, aber sie hatte sich sehr bald wieder gefangen.
»Suko!«, keuchte sie, als ihr Kopf herumzuckte. Mich hatte sie noch gar nicht gesehen.
»Was ist mit Sir…«
Glenda ließ meinen Freund nicht ausreden. »Er ist da! Der Henker. In Sir James’ Büro! Er ist eine Kreatur der Finsternis!«
Damit war alles gesagt. In der folgenden Sekunde überstürzten sich die Ereignisse.
Suko rammte die Tür zu Sir James’ Büro auf. Ich sah ihn darin verschwinden, wurde von Glenda angesprochen, doch ich kümmerte mich nicht um sie und wusste nicht mal, was sie zu mir gesagt hatte.
Wäre ich fit gewesen, ich hätte mich in das Büro hineinkatapultiert. So aber überschritt ich recht schwerfällig die Schwelle, doch mein Blick war klar, und ich sah die Szene vor mir wie auf einer Bühne…
***
Sir James lag auf dem Boden. Er war dabei, in eine Ecke zu kriechen und sich in Sicherheit zu bringen. Dass er so reagierte, ließ darauf schließen, dass er etwas abbekommen haben musste, sonst hätte er fluchtartig sein Büro verlassen.
Das schaffte er nicht, und zwischen ihm und dem Henker stand Suko. Beide belauerten sich. Diese maskenhafte Gestalt musste auch so etwas wie ein Überraschung verspüren, sonst hätte sie längst zugeschlagen. Sie tat es nicht, sie zögerte. Sie bewegte sogar ihren Kopf. Wahrscheinlich war sie durch mein Erscheinen noch mehr irritiert worden.
Ich wollte nicht darauf warten, bis sich der Geisterhenker wieder gefangen hatte. Es ging jetzt zur Sache, und wenn sich eine Kreatur der Finsternis hinter dieser Gestalt verbarg, wie Glenda uns zugerufen hatte, dann war sie so etwas wie ein chancenloses Opfer für mein Kreuz.
Suko drehte den Kopf nach rechts. Er wollte sehen, was ich tat.
Und er sah, wie ich das Kreuz aus der Tasche holte und es in der rechten Hand behielt.
Er bemerkte, dass ich leicht schwankte und noch immer nicht in Form war. Deshalb wollte er das Kreuz haben, um gegen den Geisterhenker anzugehen.
»Nein, das mache ich!«
In diesen Augenblicken vergaß ich meinen Zustand. Ich fühlte mich wie ein Akku, der aufgeladen war. Ich würde es durchziehen, und das bis zum bitteren Ende.
Noch war nichts passiert, und das sollte auch so bleiben. Um näher an den Henker heranzukommen, musste ich an einer Seite des leer geräumten Schreibtisches vorbei. Ich entschied mich für den kürzesten Weg. Diese Gestalt durfte nicht länger existieren. Sie gehörte für alle Zeiten in die Hölle, woher sie auch gekommen war!
Der Geisterhenker bekam mit, dass es für ihn nicht mehr so einfach werden würde. Ich war schon froh, dass er sein verdammtes Beil nicht angehoben hatte. Vielleicht konnte er es auch nicht. Ich spürte die Wärme auf dem edlen Metall, und dieser Strom musste auch den Geisterhenker erreicht haben.
Es brachte nichts, wenn ich ihn ansprach, auch wenn ich gern meinen Frust losgeworden wäre. Keine Gefühle in Augenblicken wie diesen. Hier musste ich cool bleiben.
Der Geisterhenker schlug nicht zu. Das Kreuz irritierte ihn. In den Augenschlitzen sah ich so etwas wie eine Bewegung. Das Mordinstrument zeigte nicht auf mich. Das Beil hatte seinen Weg nach unten gefunden, und die Klinge stand auf dem Boden.
Ich ging noch einen Schritt an ihn heran. Ich überlegte sogar, ob ich die Formel sprechen sollte, ließ es dann jedoch bleiben. Das
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