1422 - Mörderischer Muttertag
Kindern war sie sich nicht sicher, aber darauf angesprochen war sie von ihnen nicht.
Während sie diesen Gedanken nachhing und die alten Bannsprüche über ihre Lippen drangen, veränderte sich etwas in ihrer Umgebung.
Die Flammen der Kerzen, die bisher recht ruhig gebrannt hatten, fingen an, sich zu bewegen. Sie tanzten an den Dochten entlang, sie reckten sich, sie neigten sich zur Seite. Sie warfen Schatten, und an den Wänden entstanden zuckende, fremdartige Gebilde.
Auch unter ihren Füßen tat sich etwas. Sie stand zwar fest auf dem Boden, aber sie spürte den jetzt weich gewordenen Teil. Die Fratze des Teufels schien ein Eigenleben zu führen, und sie stellte auch fest, dass sich in ihrem Kopf etwas tat. Da wurde sie von einer fremden Macht regelrecht übernommen.
»Ich habe getan, was du wolltest«, flüsterte sie der anderen Macht zu. »Ja, ich habe es getan…«
Sie wartete auf eine Antwort. Sekunden verstrichen, und als sie nichts hörte, öffnete sie die Augen, die sie bei ihrer bisherigen Kontaktaufnahme geschlossen gehalten hatte.
Ein leichtes Erschrecken durchfuhr sie. An den Wänden hatten sich aus dem Widerschein der Flammen regelrechte Monster gebildet. Schlimme Gestalten, entstanden aus Licht und Schatten, die aussahen wie Geschöpfe aus der tiefsten Hölle. Sie bewegten sich wild hin und her und bildeten sich stets neu.
Tamina hatten den Eindruck, dass der Teufel sie endlich erhört hatte. All ihr Sinnen und Trachten war nicht umsonst gewesen. Sie atmete auf. Es würde genau so sein, wie sie es sich vorgestellt hatte.
Ihre Beine fingen an zu zittern. Sie stand noch im Kreis, aber sie wollte nicht stehen bleiben und besaß auch nicht die Kraft dazu.
So ließ sie sich auf die Knie sinken, legte ihre Hände wie zum Gebet aneinander und reckte die Arme zur Decke, die für sie ein düsterer Höllenhimmel war.
Der Teufel war in ihrer Nähe. Sie spürte ihn deutlich. Sein Geist steckte nicht nur in ihrem Kopf, er hatte sich auch sonst ausgebreitet. Er beherrschte das Feuer, denn er spielte mit den Flammen. Er blies hinein, sodass sie abwechselnd in die Höhe schnellten und wieder zusammensackten. Dann ließ er sie auflodern, sodass sie sich trafen und zu kleinen Feuerbällen wurden.
Tamina Baker kniete auf der Fratze. Auch dort fand eine Veränderung statt. Noch war sie nicht abgeschlossen. Die weiche Masse löste sich immer mehr auf, und Tamina spürte, dass sie heißer wurde.
Plötzlich packte sie die Angst. Sie drehte den Kopf hin und her, und jetzt wirkten die hässlichen Schatten an den Wänden auf sie noch größer und wuchtiger.
Auf einmal war die Hitze da.
Von allen Seiten drang sie ihr entgegen, und plötzlich wurden die Kerzen zu ihren Feinden. Sie besaß nicht mehr die Kraft, sich gegen sie zu wehren. Jetzt hatte der Teufel wirklich die Kontrolle über sie und die Umgebung übernommen. Nur er herrschte hier mit grausamer Hand.
Feuer!
Es war da. Die Flammen der Kerzen hatten sich vereinigt. Sie waren zu einer einzigen Feuerwand geworden, und Tamina musste erkennen, dass sie sich im Zentrum befand.
Sie wollte nicht mehr knien und aufstehen. Ein Ruck – und sie saß plötzlich fest. Der Teufel hatte ihr wieder seine Macht demonstriert.
Er ließ sie nicht mehr los.
»Bitte!«, brüllte sie.
Es war nicht klar, wen sie hatte um Hilfe anrufen wollen, aber es war niemand in der Nähe, der ihr zu Seite stand.
Es gab nur die Flammen und den Teufel. Sie sah ihn, und sie sah ihn doch nicht. Tamina wusste selbst nicht, was sie denken sollte, denn aus den Flammen und den tanzenden Schatten schob sich eine Fratze hervor, sie so ähnlich aussah wie die, auf der sie stand.
Oder nicht?
Sie blickte nach unten.
Die Fratze war weg!
Wahrscheinlich tanzte sie jetzt innerhalb des Feuers oder huschte über die Wände hinweg.
Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, dass sie sich überschätzt hatte.
Sie hatte dem Teufel zwar dienen, aber sie hatte auch mit ihm spielen wollen, und er hatte ihr Opfer wohl nicht angenommen.
Etwas brauste auf sie zu.
Plötzlich konnte sie sich wieder bewegen. Sie sprang auf, drehte sich um – und sah die Flammen.
Sie waren überall.
Aber es gab keinen Rauch, und sie erlebte auch keine Hitze. Das waren die Gedanken, die sie noch klar formulieren konnte, dann fielen die Flammen über ihr zusammen und steckten sie lichterloh in Brand.
Dass die Tür aufgerissen wurde, bekam sie zunächst nicht mit…
***
»Wenn ich an morgen denke, wird mir ganz schlecht«,
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