1425 - Medusas Vermächtnis
nicht länger im Weg stehen sollte.
Mein Herz klopfte schon etwas schneller, als ich die kleine Kabine zum ersten Mal richtig betrat. Die Tür hatte ich nicht viel weiter aufdrücken können, aber es klappte auch so. Ich zwängte mich in den Raum hinein. Es gab hier sicherlich auch einen Lichtschalter, den ich jedoch unberührt ließ. Die Helligkeit, die durch den Türspalt drang, reichte mir aus.
Das Bild war verhängt. Das hatte ich bereits zuvor festgestellt, und ich war froh darüber. Den Gedanken, es zu verbrennen, konnte ich im Moment vergessen. Darauf schießen, es zertreten oder zerreißen, das waren Möglichkeiten, die mir schon durch den Kopf schossen, doch ich stellte sie erst mal zurück.
Natürlich warf ich einen Blick auf den starren Toten. Ob er tatsächlich versteinert war, sah ich aus der Entfernung nicht. Da hätte ich ihn schon anfassen müssen, und das ersparte ich mir.
Da er auf der Seite lag, sah ich sein Gesicht im Profil. Mir saß ein dicker Kloß in der Kehle, als mein Blick seinen Mund erfasste, der weit offen stand. Eine unsägliche Qual zeichnete sich in seinen Zügen ab. Ich schüttelte mich. Der Mann musste bis zur letzten Sekunde seines Lebens versucht haben, nach Luft zu schnappen.
Ich fasste nach dem Bild. Unter der Decke spürte ich die Härte des Rahmens. In mir stieg der Wunsch auf, gegen die Leinwand zu treten, doch noch hielt ich mich zurück.
»Schlafen Sie da ein, John?«
»Nein, nein, ich bin nur vorsichtig mit dem kostbaren Gemälde. Das wird doch auch in Ihrem Sinne sein.«
»Schon. Sie sollten sich trotzdem beeilen. Ich möchte es mir auch wieder ansehen.«
Das konnte glauben, wer wollte. Ich jedenfalls nicht. Vorsichtig hob ich das Gemälde an. Den Weg, den ich genommen hatte, ging ich auch wieder zurück, ohne mich allerdings umzudrehen. Und so sah die Künstlerin mich zunächst von der rechten Seite, als ich mich durch den Türspalt schob und den normalen Stand wieder betrat.
Ich stellte das Bild auf den mit einem dünnen Teppich bedeckten Boden, zog die Decke aber nicht ab.
Der Rahmen war zum Bild hin etwas gewölbt. So wusste ich genau, wohin die Vorderseite des Gemäldes zeigte. Nicht in meine Richtung, sondern in die der Malerin. Es fiel nicht um, denn es wurde von meinen Schienbeinen in einer Kipphaltung gestoppt.
»Zufrieden, Cornelia?«
Sie schaute mich an und lächelte. »Ja, zunächst. Das Bild ist ja da. Und Sie können sich glücklich schätzen, denn Sie dürfen es als erster Besucher der Galerie Schultz hier am Stand sehen. Das ist doch was, oder? Das dürfte Ihr Herz doch höher schlagen lassen.«
»So ist es«, erwiderte ich.
»Dann bitte. Ziehen Sie die Decke weg und betrachten Sie das Bild in aller Ruhe.«
Ihr Plan kam mir entgegen, denn es gab hier keine Zeugen. Ich würde zu Stein erstarren, wenn ich auf das Bild schaute und es nicht durch einen Spiegel betrachtete. Mein Kreuz half mir in diesem Fall nicht. Ich hätte mir ebenso gut auch eines aus Holz vor die Brust hängen können.
»Fertig, John?«
»Aber sicher!«
»Dann bitte.« Sie streckte mir sogar höflich ihren rechten Arm entgegen, und ich machte das Spiel mit. Dass ich mich nicht aufgegeben hatte, ließ ich mir nicht anmerken. Ich bückte mich und legte meine Hände auf den oberen Rahmen. Noch spürte ich den rauen Stoff der Decke, aber der würde bald verschwinden. Ich krümmte bereits meine Finger, der Stoff bekam Falten, ich konnte zugreifen und zog die Decke in die Höhe. Nicht sehr schnell. Die Malerin sollte etwas davon haben, und ich schielte auch zu ihr hoch.
Sie verfolgte das Hochrutschen der Decke genau, und ich sah für einen Moment den Ausdruck der Wut auf ihrem Gesicht. Jetzt hatte sie bemerkt, dass sie auf das Motiv schaute und nicht ich.
Ich schleuderte die Decke zur Seite. »Voilà, da ist es.«
»Ja, das sehe ich. Aber Sie halten es falsch herum. Sie wollten es sich doch anschauen. Und zwar die Vorder- und nicht die Rückseite.«
»Pardon, ich wusste nicht…«
»Drehen Sie es um!«
»Okay. Wie Sie wollen.« Da ich sie nicht aus den Augen gelassen hatte, war mir der Triumph in ihren Augen nicht entgangen. Sie stand dicht vor einem großen Sieg, und sie würde ihn auch bis zur Neige auskosten, das stand fest.
Ich hob das Gemälde so weit in die Höhe, dass der obere Bildrand bis über mein Kinn hinwegreichte. Um es umzudrehen, musste ich die Arme etwas nach vorn strecken, dann hatte ich genügend Platz.
Cornelia stand wie festgewachsen auf ihrem
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