1425 - Medusas Vermächtnis
Beifall klang. Wahrscheinlich näherte sich die Eröffnungsveranstaltung dem Ende. Auf keinen Fall durften die Besucher in ihre Nähe gelangen. Die Kreatur der Finsternis musste vorher ausgeschaltet werden.
Wieder vergingen Sekunden. Ich spürte sie bereits in meiner Nähe.
Sie war nur noch nicht zu sehen, weil mir die dünne Wand die Sicht nahm. Warten oder selbst aktiv werden?
Ich musste angreifen. Ich wollte in den Rücken des Monsters gelangen. Nur keinen Blick auf den Kopf mit den hässlichen Schlangen werfen. Höchstens ein schnelles Schielen von der Seite.
Hätte ich einen Spiegel besessen, wäre es leichter gewesen. Leider konnte ich mir keinen herbeizaubern.
Ich riskierte es und stürmte wie ein Derwisch aus meiner Deckung hervor.
Dass sich dieses Ungeheuer auf zwei Beinen in meiner Nähe befand, wusste ich. Mit langen Schritten jagte ich auf eine breite, mit Bildern bestückte Wand zu, sah links von mir eine Gestalt, stoppte, wirbelte herum und riss das Schwert hoch.
Ich hörte ihren Schrei!
Zugleich schloss ich die Augen.
Dann schlug ich zu!
Mit geöffneten Augen hätte ich sicherer getroffen. Hier musste ich mich auf meine Berechnungen und mein Glück verlassen.
Ich spürte den Widerstand an der Klinge für einen winzigen Moment und glaubte, es geschafft zu haben.
Darauf verlassen wollte ich mich nicht, deshalb setzte ich die Laufbewegung fort und blieb erst stehen, nachdem ich die andere Seite der Trennwand erreicht hatte.
Es fiel mir nicht leicht, den Atem anzuhalten. Das war wichtig, denn nur, wenn ich kein Geräusch verursachte, konnte ich sie hören.
Ich hatte mir sicherheitshalber schon einen Fluchtweg ausgesucht.
Ich musste nach links rennen, um den Gang zu erreichen.
In der folgenden Zeit passierte nichts. Auch die Gäste verließen die Eröffnungsveranstaltung noch nicht.
Alles schien für mich zu sprechen, und darauf setzte ich. Deshalb schob ich mich vor, um einen Blick an der Wand vorbei zur rechten Seite werfen zu können.
Etwas lag auf dem Boden, das dort zuvor nicht gelegen hatte.
Es war der Kopf der Medusa!
Abgeschlagen. Durch die Wucht bis an diese Stelle geschleudert, denn den Körper sah ich nicht.
Der Kopf hatte sich verändert. Das Gesicht war zu einer grauen Fratze geworden. Die Schlangen wuchsen noch auf dem Schädel, nur sahen sie nicht mehr so aus wie noch vor Minuten.
Sie waren verfault und zusammengefallen. Einige waren nach vorn über die Stirn gerutscht und hatten sich auf die Augen gelegt.
Fast zwei Meter vom Kopf entfernt lag der Körper am Boden, ein kopfloses Etwas und nichts anderes.
Ich hatte es geschafft. Nichts stand der Eröffnung der Art Cologne mehr im Wege…
***
Plötzlich hatte ich zwei Helfer. Schultz und Goodrow trugen den Körper, ich nahm den Kopf. Dabei dachte ich an Johannes den Täufer und eine gewisse Salome.
Nein, nicht das auch noch!
Kopf und Körper wurden in der Kammer verstaut, wo auch der versteinerte Tote lag. Danach schlossen wir die Tür so gut wie möglich. Niemand sollte etwas erfahren. Der Galerist und der Agent würden kein Wort sagen. In der Nacht, wenn sich keiner der Aussteller mehr hier aufhielt, würden wir die Polizei benachrichtigen.
Ich setzte auf ihr Schweigen und dass niemand etwas der Presse verriet.
Bei Goodrow bedankte ich mich für das Schwert. Die gesunde Farbe war aus dem Gesicht des Mannes gewichen. Die Haut hatte Ähnlichkeit mit der weiß getünchten Wand, an der die beiden anderen Bilder der Künstlerin Cornelia hingen.
»Im letzten Moment habe ich begriffen, was hier ablief.« Er hob die Schultern. »Mehr konnte ich nicht tun.«
»Es war genau das Richtige, darauf können Sie sich verlassen.«
»Danke.«
Ich würde ihn noch nach den Vorgängen in London befragen, aber das hatte Zeit.
Die Eröffnungsveranstaltung war vorbei. Die Anwesenden strömten wieder zurück in die Halle und zu ihren Ständen. Keiner von ihnen ahnte auch nur, was hier abgelaufen war, und genau das empfand ich als sehr beruhigend…
ENDE
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