1425 - Medusas Vermächtnis
Platz. Sie wirkte angespannt und fast schon gierig. Dabei bewegte sie ihren Mund, sagte nichts, aber ich wusste trotzdem, dass sie etwas Bestimmtes wollte. Ich sollte das verdammte Bild drehen.
»Sieh es dir an!«, zischte sie mir plötzlich zu.
Für sie war alles klar – für mich allerdings auch, denn mein Plan stand längst fest. Man konnte die Situation, in der wir uns befanden, schon beinahe als einen Sketsch ansehen, aber das war sie beileibe nicht. Ich wollte mich nur wehren, und das musste ohne Waffe geschehen.
Die Malerin war darauf eingestellt, dass ich das Bild umdrehen würde. Genau das tat ich nicht.
Sie stand nicht weit von mir entfernt.
Ich startete und nahm das Bild als Waffe. Ich riss es in die Höhe, sprang auf Cornelia zu und drosch ihr das Gemälde mit solcher Wucht auf den Kopf, dass sie zu Boden ging…
***
Die Leinwand riss mit einem knirschenden Geräusch entzwei. Ich konnte mir vorstellen, dass die Medusa auf dem Bild in der Mitte zerrissen wurde, aber sicher war ich mir nicht.
Deshalb zerrte ich den Rahmen wieder über Cornelias Kopf, drückte die untere Seite gegen meinen Bauch, hielt das Gemälde mit einer Hand fest und riss mit der anderen die schon halb zerstörte Leinwand in Fetzen, was gar nicht so einfach war.
Cornelia stand wieder auf. Sehr langsam. Der Schock saß ihr noch in den Gliedern. Ihr Gesichtsausdruck hatte sich verändert. In den Zügen stand das Staunen wie eingemeißelt, und sie bekam den Mund nicht mehr zu. Doch allmählich veränderte sich der Ausdruck, denn erst jetzt begriff sie richtig, was hier abgelaufen war.
»Nein«, flüsterte sie, »so nicht!«
Das glaubte ich ihr aufs Wort. Ich beeilte mich und riss die letzten Fetzen weg. Dann schleuderte ich den leeren Rahmen zur Seite und konzentrierte mich auf die Frau.
»Und jetzt zu uns beiden, Cornelia. Ich denke, dass wir uns mal über die Medusa unterhalten sollten…«
Sie hatte mich gehört. Noch war sie unfähig, zu handeln. Zwar bewegte sie ihren Mund, aber sie sprach nicht, und sie wich auch nicht zurück, als ich auf sie zuging.
Ich hatte die Schritte nicht gehört. Erst ein heftiges Keuchen machte mich aufmerksam.
Wie vom Himmel gefallen stand plötzlich Michael Schultz an der Grenze zwischen Stand und Gang.
»Verdammt, was ist denn hier los?«, schrie er…
***
Mit ihm hatte ich noch nicht gerechnet. Er musste einen siebten Sinn gehabt haben und war von der Eröffnung zurückgeeilt. Zeit, ihn nach den Gründen zu fragen, hatte ich nicht, aber ich wollte ihn nicht in meiner Nähe haben.
»Hauen Sie ab, Herr Schultz!«
»Ich denke gar nicht daran!« Er ging einen langen Schritt auf mich zu. »Was bilden Sie sich ein?«
»Verdammt, es ist gefährlich!«
»Wieso?«
»Denken Sie an den Toten in Ihrer Kammer!«
Mit diesem Satz hatte ich genau den Punkt getroffen. Er zuckte zusammen und hob zugleich die Schultern an. Dabei verkrampfte er sich für einen Moment, und sein Blick irrte zwischen der Malerin und mir hin und her. Er war überrascht, warf einen gehetzten Blick zur offenen Tür des hinteren Raumes, und er sah möglicherweise auch den Versteinerten auf dem Boden liegen. Deshalb musste er wissen, dass sein Geheimnis keines mehr war.
»Haben Sie mich nicht verstanden?«
Schultz holte tief Atem. Sein breiter Brustkasten schien sich dabei aufzublähen. Von den Stirnseiten rann Schweiß über seine Wangen hinweg.
»Ich will wissen, was hier los ist, verdammt noch mal! Das ist gewissermaßen mein Gelände und…«
»Sie haben sich den Tod auf Ihren Stand geholt«, erklärte ich.
Aus seinem Mund drang ein Lachen. »Welchen Tod denn?«
»Cornelia. Ihr drittes Bild, das ich zerstört habe. Sie wissen es genau, Herr Schultz.«
Der Mann zwinkerte, als wäre ihm Schweiß in die Augen gelaufen. »Ich weiß nicht, was Sie wollen. Cornelia ist eine tolle und extravagante Künstlerin…«
Ich fiel ihm ins Wort. »Das bestreitet niemand, dass sie dies ist. Aber auch Künstlerinnen können mal einen falschen Weg gehen, wenn Sie verstehen.«
»Was soll das heißen?«
»Es ist das Bild. Die Medusa, zum Henker! Sie hat es gemalt, und sie hat es nicht grundlos getan. Die Schlangen sind für sie etwas Besonderes. Sie hat sich auf sie eingelassen, und ich denke nicht, dass sie es dabei belässt, dieses Motiv nur zu malen.«
»Was denn sonst?«, fuhr mich der Galerist an.
»Sie hat es verinnerlicht. Für mich steckt der Geist der Medusa in ihr. Haben Sie das verstanden? Nur wer mit ihm so vertraut
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