1431 - Shaos Feindin
genauer hinschaute, sah sie die Umrisse von Gestalten in dieser fahlen Helligkeit.
Gestalten?
Als etwas anderes konnte Shao sie nicht beschreiben. Sie wusste auch nicht, ob sie es mit menschlichen Umrissen zu tun hatte oder nur mit Schatten, die für einen winzigen Moment auftauchten und dann wieder verschwanden, sodass der Betrachter den Eindruck hatte, dass innerhalb der Festung jemand das Licht an- und ausknipste.
Plötzlich geriet die gesamte Festung in Bewegung. Nicht nur, dass sie wieder vibrierte, Shao hörte auch die Stimme, die aus dem Bau hallte.
»Es ist meine Zeit. Ich bin da, verstehst du?«
»Ja, das habe ich gehört. Aber was willst du?«
»Verschwinde von hier. Lass mich in Ruhe. Wenn du gehorchst, wird es auch gut für dich sein.«
»Geht es um Shimada? Bist du an seiner Stelle gekommen?«
»Vielleicht. Wir alle gehören doch irgendwie zusammen. Du wirst es noch begreifen und dich danach richten müssen. Jeder hat seinen Auftrag zu erfüllen.«
»Das ist mir bekannt, aber ich würde dich gern sehen. Oder hast du Angst?«
»Was ist das?«
»Dann komm!«
»Nein, ich warte noch. Ich erscheine, wenn ich es für richtig halte.«
Das Licht flackerte noch einmal auf. Für einen kaum zu berechnenden Augenblick tauchte ein Gesicht auf, das allerdings so schnell wieder verschwunden war, dass Shao keine Einzelheiten erkennen konnte. In Dunkelheit eingehüllt blieb die Geisterfestung vor Shaos Augen, und sie musste davon ausgehen, dass sich Nagita zurückgezogen hatte. Alles sah wieder normal aus.
Bis eben auf den Toten, und der konnte nicht wegdiskutiert werden. Shao dachte darüber nach, ob sie die Festung durchsuchen sollte. Sie ließ es bleiben, denn sie war sicher, dass sich Nagita nicht zeigen würde.
Es gab auch ein Später, und darauf setzte sie. Zuvor allerdings wollte sie Suko Bescheid geben. Sie wusste, wie schwer damals der Kampf gegen Shimada gewesen war, und wenn Nagita an seiner Seite gestanden hatte, dann würde es kaum leichter werden…
***
Nachdem Suko den letzten Satz ausgesprochen hatte, blieb es eine Weile still zwischen uns. Das Gesicht meines Freundes sah in dieser Zeitspanne aus wie aus Beton gegossen. Nichts regte sich in seinen Zügen. Er schien unter Schock zu stehen. Sein Blick wirkte nach innen gekehrt.
Ich brach das Schweigen, indem ich sagte: »Shao wird ihre Gründe gehabt haben.«
»Ja, bestimmt. Es gibt Gründe. Aus Spaß wird sie nicht zu einer anderen Person.«
»Das hast du immer gewusst.«
Fast böse schaute er mir ins Gesicht. »Ja, ich habe es gewusst. Es ist auch alles klar für dich, John. Aber Shao und ich leben zusammen. Ich hätte mir mehr Vertrauen gewünscht.«
»Denk daran, wer sie ist und von wem sie abstammt. Wenn sie den Ruf der Sonnengöttin empfängt, dann muss sie den Weg gehen. Sie ist die letzte Person in der langen Ahnenreihe und…«
Suko winkte ab. »Hör auf, John, das weiß ich selbst. Aber ich habe gedacht, dass es vorbei ist.«
Ich schüttelte den Kopf. »So etwas geht nie vorbei. Das schläft nur, glaub mir.«
Er gab mir nur ungern Recht, aber er tat es und fragte dann:
»Kannst du dir vorstellen, wo sie sich jetzt befindet?«
»Nein, das kann ich nicht. Ich will dir zwar keine Angst einjagen, aber sie könnte sich sogar in eine andere Dimension begeben haben. Das ist bei der Sonnengöttin möglich.«
»Dafür müsste es dann auch Gründe geben.«
»Die kennt nur Amaterasu. Und jetzt Shao.«
»Ich will aber nicht, dass die alten Shimada-Zeiten wieder anbrechen. Damals sind es Ninjas gewesen. Davon habe ich die Nase voll. Man hört auch nichts mehr von ihnen, seit Shimada seinen verdammten Schädel verloren hat.«
»Genau. Nur musst du dir darüber klar werden, dass es noch andere mächtige Dämonen gibt. Wenn die japanische und chinesische Mythologie ihre Schubladen öffnen, kann uns…«
Das Telefon meldete sich.
Suko starrte mich an. »Das ist Shao. Das muss sie einfach sein, verflixt.« Er traute sich nicht so recht, an den Apparat zu gehen. Er stand noch immer neben sich.
»Soll ich…«, begann ich.
»Nein, nein, das möchte ich schon selber.«
Drei Sekunden später wusste auch ich Bescheid, denn da hatte Suko den Namen seiner Partnerin mit einem freudigen Klang in der Stimme laut ausgesprochen.
»Wo steckst du?«
Nach dieser Frage hörte er nur zu, und seine Antwort wenig später überraschte mich nicht.
»Okay, wir kommen…«
***
Dass wir in der Nacht noch über den Rummel laufen mussten, damit hatte
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