1437 - Der weibliche Tod
vor seinen Augen. Er stemmte sich behutsam in die Höhe. Im Hinterkopf zuckten noch immer heftige Stiche.
Nur langsam erholte er sich. Seine Kutte kam ihm ungeheuer schwer vor. Sie hing an ihm wie ein starkes Gewicht, und wenn er sich leicht drehte, hatte er wieder das Gefühl, als ob seine Beine nachgeben wollten.
Sein Blickfeld klärte sich allmählich. Zuerst sah er die Bäume mit ihren noch belaubten Kronen. Auch die Stille fiel ihm jetzt auf, nur ab und zu unterbrochen von Vogelgezwitscher.
Als dann die Grabsteine in seinen Sichtkreis gerieten, da durchzuckte es ihn wie ein Stich.
Ein Friedhof! Ein Ort für die Toten, aber nicht für die Lebenden.
Nur musste er damit rechnen, nicht mehr lange lebendig zu sein, denn das Versprechen des Todesengels vor dem Verlassen des Zimmers hatte er nicht vergessen.
Er hörte die Stimme.
»Dreh dich um!«
Konstantins Gesicht verzerrte sich. Sein Körper fühlte sich plötzlich schwer an. Er wusste, dass er noch zu schwach war, um sich mit Erfolg gegen dieses Wesen wehren zu können.
Bei der Drehung erfasste ihn wieder ein leichter Schwindel. Die Angst kehrte zurück. Es lag auch an der Umgebung.
Vor ihm stand seine Entführerin!
Sie hatte sich nicht verändert. Noch immer war sie das Monster mit den breiten, an den Rändern gezackten Schwingen auf dem Rücken. Und mit einem Gesicht, das einem Totenschädel ähnelte.
Dunkle Augen. Tiefe Schächte. Schwarz wie die Seele des Teufels, falls der überhaupt so etwas besaß.
Sie sprachen beide nicht, starrten sich nur gegenseitig an, und Konstantin wurde sich immer mehr bewusst, dass er nur ein Mensch war und auch so reagierte, denn seine Angst wuchs.
Wieder hörte er die Stimme. Und wieder klang sie nur entfernt normal menschlich. Mit einer Hand deutete Rusalka hinter sich auf den Sarkophag.
Er war nicht geschlossen!
Man brauchte dem Popen nicht erst zu sagen, warum der Deckel daneben lag, aber er hörte es trotzdem, und bei den Worten drehte sich die kleine Welt wieder vor seinen Augen.
»Der Sarg ist für dich. Er wird deine letzte Ruhestätte sein, und wie versprochen, werde ich dich nicht vorher töten. Du wirst ersticken, und ich werde zurückkehren, um mich davon zu überzeugen, dass du verreckt bist.«
Er schwieg. Die nackte Furcht um sein Leben verschluss ihm die Lippen.
Nie hätte er gedacht, dass es so weit mit ihm kommen würde. Er war ein Pope, er wurde von den Menschen verehrt, und er hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, sich gegen das Böse zu stellen. Das war jetzt vorbei. Konstantin musste einsehen, dass die Seite, die er bekämpft hatte, doch die stärkere war. Dafür also hatte er seine Heimat verlassen – um in der Fremde zu sterben.
Über dem Friedhof lag ein ungewöhnliches Licht. Zwar schien die Sonne noch, doch sie stand bereits sehr niedrig und wärmte längst nicht mehr.
»Komm her!«
Konstantin hatte den Befehl genau verstanden. Doch er schüttelte den Kopf und ging sogar einen Schritt nach hinten, um zu demonstrieren, dass er entschlossen war, sich ihr zu widersetzen.
»Dann komme ich zu dir!«
Ein knapper Satz und nicht mehr. Ein kurzes Schlagen mit den Flügeln, das leichte Abheben vom Boden, dann war Rusalka bei ihm. Der Pope wollte sich zur Seite werfen, was er auch schaffte, doch dann erwischte ihn der Schlag, der ihn zu Boden schleuderte, wo er liegen blieb.
Dass er zusätzlich mit dem Kopf aufgeprallt war, verschlimmerte die Sache noch. Aus eigener Kraft konnte er nicht mehr aufstehen.
Da mussten ihn schon zwei Hände auf die Füße stellen und ihn festhalten, damit er nicht zusammensackte.
In den nächsten Sekunden erlebte er erneut die Kraft der Rusalka.
Als wäre er ein Nichts ohne Gewicht, wurde er in die Höhe gehoben und weggetragen. Dabei lag er so ungünstig, dass er nicht sah, wohin sie ihn schleppte. Erst als er mit der linken Schulter gegen einen Widerstand prallte und den Kopf drehte, wusste er Bescheid.
Er war an den Kante des Sarkophags entlang geschrammt – und wurde losgelassen.
Mit dem Rücken zuerst landete er im Sarkophag. Er fiel auf die dort liegenden Knochen. Der alte Staub wallte auf, wehte über sein Gesicht hinweg und legte sich auf seine Wangen. Er schmeckte ihn auch auf den Lippen.
Verschwommen sah der Pope über sich das Gesicht mit dem hässlichen Grinsen auf den Lippen.
Es verschwand wieder, weil Rusalka sich gebückt hatte. Allerdings nur, weil sie den Deckel anheben wollte, um ihn auf das Unterteil zu legen.
Als sie wieder im
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