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1437 - Der weibliche Tod

1437 - Der weibliche Tod

Titel: 1437 - Der weibliche Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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schaute auf sie hinab und stellte fest, dass sich ihr heftiger Atem allmählich beruhigte. Auch ließ sie die Hände sinken, sodass er in ihr Gesicht schauen konnte.
    Ob der Ort, an dem sie sich hier befanden, besonders glücklich gewählt war, konnte Sly nicht sagen. Als Sitzplatz war der Stein zwar ideal, aber sie befanden sich in einer sehr düsteren Umgebung.
    Was Dora so erschreckt hatte, wusste er nicht. Er hoffte jedoch, es gleich von ihr zu erfahren, und er ging davon aus, dass es sich um die Nackte mit den Flügeln handelte.
    »Dora…?«
    Sie nickte Sekunden später.
    Ähm – ich – ich weiß nicht genau, was ich sagen soll. Aber ich denke, dass du mir was zu erzählen hast. Du weißt, dass du geflohen bist – oder?
    »Ja, das stimmt.«
    »Und warum?«
    Dora starrte weiterhin vor sich hin. »Ich habe sie gesehen«, erwiderte sie mit leiser Stimme. »Ich war an einem Grab. Sie hat sich auf einen Sarkophag gestützt, und ich bin hinter ihr stehen geblieben. Es sah aus, als würde sie beten.«
    »Und? Ist das schlimm?«
    »Nein, Sly, das ist es nicht. Ich sah nur ihren nackten Rücken und die zerbrechlichen Flügel. Ob sie wirklich zerbrechlich sind, weiß ich nicht. Dann aber…«, sie zog einige Male die Nase hoch, »… dann aber drehte sie sich um.«
    »Wie?«
    »Ja, sie drehte sich um. Sie kniete nicht mehr, sie hatte sich erhoben, und es war grauenhaft, als ich in ihr Gesicht schaute.«
    »Warum war es das?«
    »Warum?« Ein scharfes Lachen drang aus ihrem Mund. »Das kann ich dir sagen. Sie – sie hatte keine Augen mehr.« Dora Young deutete gegen ihre. »Wo die Augen bei einem Menschen sitzen, da gab es bei ihr nur zwei schwarze Löcher. Und das sah einfach schrecklich aus…«
    Sly Fisher erwiderte nichts. Er musste erst nachdenken, und er spürte schon, dass sich in seinem Magen etwas festsetzte, das ihm Unbehagen bereitete.
    »Leere Augen?«, flüsterte er.
    »Ja, Sly. Schwarze Löcher. Als wäre ihr alles aus den Augen herausgeschält worden. Das war grauenhaft! Ich habe einen richtigen Schock bekommen. Ich – ich stand kurz vor dem Durchdrehen.«
    »Und wieso?«
    »Weiß nicht«, flüsterte sie. »Verdammt noch mal, ich weiß es einfach nicht.« Ihre Stimme hatte wieder einen schrillen Klang bekommen.
    »Ist ja schon gut, Dora, ist alles okay. Ich kann mir denken, wie es in dir aussieht.«
    »Ach ja?«
    »Du musst dich jetzt zusammenreißen. Es ist so, wie es ist, Dora. Denk daran.«
    »Ja, ja, ich weiß.« Sie bewegte ihre Hände hektisch hin und her.
    »Aber so ein Wesen kann es nicht geben. Es hat ein Grab besucht. Und dann die leeren Augenhöhlen und die Flügel.« Dora atmete tief durch. »Das kann kein Engel sein, Sly. Ich glaube einfach nicht daran. Diese Unperson ist was ganz anderes.«
    »Was denn?«
    Dora zuckte mit den Schultern. Danach stand sie auf. »Wenn ich daran glauben würde, dass es eine Hölle gibt, dann würde ich sie als einen Höllenengel bezeichnen.«
    »Meinst du?«
    »Ja, verdammt. Die ist kein Mensch, und sie ist auch kein Engel. Zumindest stelle ich mir so keinen Engel vor.«
    »Wir reden später darüber, Dora. Jetzt lass uns erst mal abhauen. Dieser Friedhof ist mir unheimlich geworden.«
    Dora war einverstanden, das bewies sie durch ihr Nicken. Sly fasste nach ihren Händen und spürte, dass sie kalt waren.
    »Ich habe Angst, Sly«, flüsterte sie. »Ich habe eine tiefe und verdammte Angst.«
    »Jetzt auch noch?«
    »Ja, Sly, jetzt auch noch.«
    »Okay. Sehen wir zu, dass wir so schnell wie möglich von hier verschwinden.«
    »Ja, bitte…«
    Dora wollte den Kontakt zu ihrem Freund nicht mehr missen. Deshalb hielt sie ihn an der Hand fest.
    Sie gingen den Weg zurück. Groß war die Entfernung nicht, aber die Strecke kam zumindest Dora doppelt so lang vor.
    Sie konnte die Gestalt nicht vergessen. Immer wieder tauchten vor ihrem geistigen Blick die leeren Augenhöhlen auf.
    Verfolgt worden war Dora nicht. Aber deshalb fühlte sie sich noch längst nicht in Sicherheit. Dieser Friedhof war ein unheimliches Gelände. Jeder Schatten, jeder Steinengel konnte zu einer Gefahr werden, wenn auf diesem Stück Land tatsächlich finstere Mächte regierten.
    Sie sprachen nicht darüber. Auch Slys Verhalten hatte sich verändert. Er schaute genau hin, wo er ging, und seine Blicke waren in ständiger Bewegung.
    Niemand wollte etwas von ihnen. Sie hörten keine verdächtigen Geräusche und erlebten auch keine Bewegungen in ihrer Nähe. Sie waren beide froh, als sie den Ausgang

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