1439 - Totenfeld
Freund hatte Erfahrungen mit Leichen. Wenn er sagte, dass es ein Mensch war, dann stimmte das auch.
Obwohl sie es nicht wollte, ging sie näher heran. Aber nicht weiter als Ari.
Nebeneinander stehend schauten sie den an den Pfahl gebundenen Leichnam an. Dabei fiel ihnen auf, dass der Tote die Kleidung eines Motorradfahrers trug. So bekam die im Graben liegende Maschine auch einen Sinn.
»Sag was, Ari.«
Er schwieg.
Lizzy stieß ihren Freund an. »Verdammt noch mal, sag endlich was! Ich will was hören!«
»Keine Ahnung. Damit habe ich auch nicht gerechnet.«
»Aber du wolltest doch auf das Scheiß-Feld.« Lizzy bewegte hektisch ihre Hände. »Die Toten fotografieren! Dein Job, die große Schau! Scheiße ist das.«
Ari hatte seinen Schrecken überwunden. Er dachte bereits wieder wie ein Fotograf. »Egal, was hier passiert ist, den Toten abzulichten ist was Besonderes.«
»Ha, bei diesem Nebel?«
»Das kriege ich schon hin.«
»Da bin ich aber gespannt.«
»Scheinwerfer von zwei Seiten. Helles Licht, durch das die Schwaden treiben, und dahinter die am Pfahl hängende Leiche. Wenn das kein Gruselmotiv ist.«
»Hast du keine Angst?«
»Ähm – wovor denn?«
»Dass der Mörder zurückkehrt. Der, der den Toten an den Pfahl gebunden hat.«
»Wir werden uns eben beeilen.«
»Toll.«
Ari Ariston öffnete seine Koffer. Lizzy brauchte er nicht als Helferin. Sie wusste das, und sie wunderte sich über sich selbst, dass sie in der Lage war, auf den Toten zuzugehen. Zwar spürte sie ein gewisses Kribbeln in ihren Adern, aber das ließ sich ertragen.
Sie traute sich noch nicht, in das Gesicht des Toten zu schauen, aber sie erkannte, dass die Lederjacke und auch die Hose sehr verschmutzt waren. An ihnen klebte der Dreck, als wäre der Tote vorher über den Acker gekrochen.
Sie wollte das Gesicht sehen. Über diesen Wunsch wunderte sie sich selbst.
Obwohl ihr Freund viel mit Leichen zu tun hatte, schreckte sie davor zurück. Aber sie sprang über den eigenen Schatten und schaute in den Gesicht der Gestalt.
Der leere Ausdruck erschreckte sie. Das Gesicht war nicht durch eine Waffe zerstört worden. Nur der Ausdruck hatte sich verändert.
Er war nicht mehr vorhanden. Die toten Augen starrten ins Leere. Es war kein Blut zu sehen. Keine Wunden, nur der Schmutz, und sie fragte sich, wie dieser Mann ums Leben gekommen war.
Ein verrückter Gedanke schoss ihr durch den Kopf. Es war möglich, dass er in der Erde gelegen hatte. Aus dem Grab gekrochen wie ein Zombie.
Nein, das war nicht möglich und…
»Geh mal zur Seite!«
Lizzy war froh, die Stimme ihres Freundes zu hören. Sie brachte sie wieder zurück in die Wirklichkeit. Sie drehte sich halb um und stellte fest, dass Ari inzwischen fleißig gewesen war und schon die Stative mit den Scheinwerfern aufgebaut hatte.
Noch waren sie nicht angeschlossen. Er musste die beiden Kabel erst mit den Batterien verbinden.
Lizzy hielt es nicht länger in der Nähe des Toten aus. Wieder ging sie über den weichen Boden und ärgerte sich bei jedem Schritt, den sie zurücklegte. Orte wie diesen hasste sie. Lizzy konnte ihnen nichts abgewinnen. Und das hing nicht mal nur mit dem Toten am Pfahl zusammen.
Von zwei Seiten wurde er jetzt angestrahlt. Das war etwas zu viel gesagt. Das Licht schien in Wolken davonzuschwimmen, aber es war immer noch stark genug, die Gestalt vom Kopf bis zu den Füßen zu erhellen.
Lizzy verschränkte die Arme vor der Brust. Da sie nicht mehr abgelenkt wurde, begann sie wieder die Kälte zu spüren. Der Mantel war einfach zu dünn. Ihr fiel ein, dass im Wagen noch eine Strickjacke lag, und sie überlegte, ob sie die Jacke holen sollte.
Den Wagen sah sie nicht. Der Nebel hatte ihn verschluckt. Auch der Graben war nicht mehr zu erkennen. Sie hatte das Gefühl, in einer Welt zu stehen, die es eigentlich gar nicht gab. Sie hätte auch irgendwo auf einem fremden Planeten hocken können, das wäre kaum anders gewesen.
Ari war manchmal ein Perfektionist. Auch in diesem Fall. Sie hörte ihn leise fluchen, weil nicht alles so klappte, wie er es sich vorgestellt hatte.
Das kannte sie.
Lizzy veränderte ihre Haltung. Sie ließ die Hände in den Seitentaschen ihres Mantels verschwinden, schüttelte sich und wollte sich bewegen, um nicht zu stark zu frieren.
Da sah sie etwas.
Es war ein Unding, und sie glaubte zunächst, dass ihr der Nebel einen Streich gespielt hatte. Deshalb sagte sie auch ihrem Freund nicht Bescheid und konzentrierte sich auf diesen
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