1439 - Totenfeld
einen Punkt.
Es stimmte.
Da bewegte sich die Erde!
Lizzy öffnete den Mund. Sie brachte keinen Laut hervor. Etwas schnürte ihre Kehle zu. Es war unwahrscheinlich und kaum zu fassen, aber der weiche Boden war tatsächlich in Bewegung geraten.
Und die Kraft kam von unten. Es sah aus, als versuchte da jemand, sich aus der Erde zu befreien.
Sie schwieg.
Ihr Herz schlug schneller, und es fing fast an zu rasen, als sie sehen musste, was ich da tatsächlich aus der Erde löste.
Es waren zwei Klauen…
***
Einen Anblick wie diesen hatte Lizzy noch nie erlebt. Höchstens in ihren Albträumen. Das träumte man nur, aber so etwas gab es nicht in der Wirklichkeit.
Trotzdem musste sie es erleben, und sie kam sich vor, als hätte man ihr einen Schlag versetzt. Der unsichtbare Ring um Brust und Kehle verstärkte sich. Er schnürte ihr die Luft ab. Sie wollte den Kopf abwenden, einige Sekunden warten, dann wieder hinschauen, um zu erkennen, dass sie sich geirrt hatte.
Das hatte sie aber nicht.
Die Klauen waren da. Halb gekrümmte Finger. Dick, wulstig, mit Dreck an der Haut. Das war nichts Normales mehr. Das hatte auch nichts mit dem verdammten Toten am Pfahl zu tun. Das war einfach nur schlimm und grauenhaft.
Sie hörte nichts außer dem Geschimpfe ihres Freundes, der mit der Einstellung nicht zufrieden war. Und die Gestalt kroch weiter aus der Ackererde empor.
Jetzt waren bereits die Unterarme zu sehen. Sie waren in die Höhe gereckt. Lizzy sah, dass sich die Gestalt nirgendwo abstützte. Sie besaß die Kraft, sich auch so aus dem Boden zu wühlen, was ihr ebenfalls unbegreiflich war. Wie alles, was sie hier erlebte.
»Ari…«
Er gab keine Antwort, weil er zu sehr mit seiner Aufgabe beschäftigt war.
»Ari, verdammt!«, rief sie.
Er hörte jetzt. Neben dem linken Scheinwerfer blieb er stehen und drehte sich um.
»Was ist denn?«
»Da, da!«, keuchte sie und deutete zuckend dorthin, wo sich der Vorgang abspielte.
Der Fotograf schaute ebenfalls hin. Seine Augen weiteten sich, und er flüsterte: »Ach du Scheiße, was ist das denn?«
»Der Tod, Ari, der Tod…«
***
Jane und ich hatten mit einem derartigen Anblick nicht gerechnet.
Auch für uns gab es Situationen, in denen wir sprachlos waren und erst mal hinnehmen mussten, was wir sahen.
Ein Bild wie gemalt. Eine Mischung aus Schönheit und Trauer. Die blasse Haut der Toten, das dunkle Haar, so stellte man sich tatsächlich die Märchenfigur eines Schneewittchens vor. Aber hier würde bestimmt kein Apfelstück aus dem Mund fallen, wenn wir den Kopf anhoben. So etwas gab es wirklich nur im Märchen.
Ich drehte meinen Kopf zur Seite und schaute Jane Colins an, die sich in diesem Moment bewegte, mich dabei ignorierte und sich an Anna Bancroft wandte.
»Wer ist das?«
»Sie heißt Amy.«
»Eine Verwandte von Ihnen?«
Anna schüttelte den Kopf. In ihren Augen glitzerten plötzlich Tränen, und sie musste die Nase in die Höhe ziehen. »Nein, aber ich kenne Amy seit ihrer Geburt. Ich habe sie aufwachsen sehen, und ich habe mich sehr darüber gefreut, dass sie sich zu einem jungen hübschen Mädchen entwickelte. Allerdings war sie immer sehr schwach. Das hat mir immer Sorgen bereitet. Die schreckliche Diagnose kam dann vor einem Jahr. Leukämie, nicht mehr heilbar. Und so ist Amy dann vor zwei Tagen gestorben.«
»Hier bei Ihnen?«, fragte ich.
»Nein. Ich habe sie hergeholt.«
»Und das ließen ihre Eltern zu?«
Anna Bancroft hob die Schultern. »Ja, sie wussten um das Verhältnis zwischen uns. Und sie wussten auch, dass Amy immer gern bei mir gewesen ist. Wir haben voneinander gelernt. Ich habe versprochen, sie in meinem Haus aufzubahren, weil ich nicht wollte, dass man sie holte.«
»Holte?«, fragte ich nach.
»Ja.«
»Wer denn?«
Sie winkte ab. »Einer, der die Toten mag. Einer, den ich einfach hassen muss. Ich will nicht, dass sie zu seinem Opfer wird. Sie soll in Würde bestattet werden. Ich will überhaupt nicht, dass hier noch mehr Tote verschwinden. Nicht nur aus diesem Ort, sondern auch aus der Umgebung, wenn Sie verstehen.«
Noch verstand ich sie nicht ganz, aber der Nebel begann sich allmählich zu lichten, und so nickte ich.
Jane sprach dann aus, was ich dachte. »Meinen Sie einen Ghoul, Mrs Bancroft?«
Strahlten ihre Augen? Leuchteten sie?
Wir sahen ihr heftiges Nicken. »Sie haben es gesagt, Jane, ein Ghoul. Ein widerliches Geschöpf, das die meisten Menschen gar nicht kennen…«
»Sie schon – oder?«
»Ich kenne ihn. Aber
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