1441 - Der Seelenfluss
Gedanken darüber, warum man dich in die Scheune geschleppt und gefesselt hat. Damit habe ich meine Probleme.«
»Vielleicht wollte man mich Zwischenlagern.«
»Das kann auch sein.«
»Und was tun wir jetzt?«
Suko blieb locker. »Ich liebe Spaziergänge am Wasser.«
»Bitte?«
»Ja, wir gehen an diesem Bach oder Kanal entlang. Es gibt in der Ferne ein Licht. Jedes Licht bedeutet eine gewisse Hoffnung. Das kennen wir auch seit alters her. Zudem gehe ich davon aus, dass dieser Bach irgendwo mündet. Ich kann mir gut vorstellen, dass es sich dabei um das Londoner Kanalsystem handelt. Es wird dort beginnen, wo wir das schwache Licht sehen.«
Susa nickte heftig. Sie war verkrampft und fragte dann mit leiser Stimme: »Hast du Angst vor Ratten?«
»Nein.«
»Aber ich.«
»Keine Sorge. Wenn sie kommen, werden sie dich schon nicht fressen wollen. Es gibt genügend Müll, der sie satt macht.«
»Hoffentlich.«
Suko ließ den Kegel der Leuchte über das Wasser huschen. Auf den dunklen Wellenkämmen tanzte der Schein, erhellte deren Umgebung, aber Ratten waren nicht zu sehen, was Susa beruhigte.
Suko leuchtete die Umgebung rechts und links des Kanals genau ab und stellte fest, dass er sehr bald in einen Tunnel führte und sie nur an einer Seite gehen konnten.
Woher das Wasser kam, wo seine Quelle lag, darüber zerbrachen sie sich nicht den Kopf. Sie wollten der Fließrichtung nachgehen, um irgendwann ein Ziel zu erreichen oder einen Ort, von dem aus sie die unterirdische Welt wieder verlassen konnten.
Links schäumte das Wasser gegen die Wand. So blieben sie auf der anderen Seite, die allerdings auch feucht war und an einigen Stellen entsprechend rutschig.
Suko übernahm die Führung. Er brauchte seinem Schützling nicht zu erklären, wie er sich verhalten sollte. Das wusste Susa auch so.
Seine Gedanken drehten sich um den Schamanen. Bei den alten Opferritualen wurden die Menschen im Wasser versenkt. Das konnten Flüsse, aber auch Bäche sein, nur hatten diese Stellen bestimmt nicht in einer unterirdischen Kanalisation gelegen.
Keine Ratten. Nur das Plätschern der Wellen war zu hören und die hastigen Atemzüge in Sukos Rücken.
Er dachte auch an John und Shao. Wobei er sich automatisch die Frage stellte, ob John bereits das Grundstück erreicht hatte. Er kannte das Vorgehen seines Freundes. Wenn er Shao nicht antraf, würde er in das Haus eindringen und sich Han-Check zur Brust nehmen.
So schlecht sah ihre Lage nicht aus.
Als Suko das Licht der Lampe löschte, hörte er den leisen Schrei in seinem Rücken.
»Was hat das zu bedeuten?«, flüsterte Susa.
»Keine Sorge. Ich will nur schauen, ob wir näher an das Licht herangekommen sind.«
Susa lachte jetzt. »Klar, ich hätte auch selbst darauf kommen können. Ich muss mich mehr zusammenreißen.«
»Es wird schon klappen.«
Suko konzentrierte sich auf das fahle Licht. Gehörte es tatsächlich zum Bereich der Kanäle?
Es war alles andere als einfach, dies herauszufinden. Er konzentrierte sich so stark wie möglich und glaubte, eine Entdeckung zu machen, war sich aber nicht sicher. Deshalb wollte er Susa fragen.
»Siehst du das Licht?«
»Ja.«
»Und was sagst du?«
Die junge Chinesin umklammerte mit beiden Händen Sukos linken Arm. »Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Es ist mir alles so fremd, verdammt noch mal. Siehst du denn etwas?«
»Ich denke schon.«
»Und was?«
»Ich habe das Gefühl, dass sich dieses Licht bewegt. Es steht nicht auf einer Stelle.«
»Ja. Es kommt auf uns zu – oder?«
»Genau.«
Beide schwiegen in den folgenden Sekunden. Ihre Aufmerksamkeit galt ausschließlich dem fahlen Schein, der sich dort ausgebreitet hatte und tatsächlich entgegen der Strömung wanderte.
»Ein Phänomen«, flüsterte Susa. »Ich kann mir keinen Reim darauf machen.«
Suko schon. Nur behielt er seine Meinung für sich. Er wollte die junge Frau nicht unnötig beunruhigen.
»Sollen wir denn weitergehen?«, fragte sie.
»Ja. Immer dem Licht entgegen. Wie seinerzeit die Heiligen Drei Könige.«
»Okay.«
Suko ließ seine Lampe brennen. Er hatte den Kegel allerdings nach unten gerichtet, weil er sich durch das Licht nicht ablenken lassen wollte.
Es verging wieder Zeit, und die beiden näherten sich dem Ziel. An das leise Rauschen oder Plätschern hatten sie sich gewöhnt, doch dann trat etwas ein, womit sie nicht gerechnet hatten.
Vor ihnen entstand ein anderes Geräusch. Ob es nun in gleicher Höhe mit dem Licht aufgeklungen war,
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