1441 - Der Seelenfluss
auseinander.
Ich gab mir noch einige Sekunden und machte mich dann auf den Weg. Dabei bewegte ich mich aufrecht, aber nicht in direkter Linie auf das Ziel zu. Es war wichtig, immer in der Nähe einer Deckung zu bleiben. Dazu reichten die wenigen Bäume aus. Dass ich nicht lautlos gehen konnte, ärgerte mich schon. Auf dem Boden lag Laub, und das hatte Frost abbekommen, sodass die Blätter hart geworden waren und unter meinen Tritten knirschten.
Noch hatte ich keinen Menschen aufgeschreckt. So huschte ich weiter, aber ich näherte mich nicht dem Eingang. Mein Ziel war die Seite des Hauses, da ich hoffte, dort auf Shao zu treffen, die mir vielleicht schon mehr sagen konnte.
Ich vergaß auch nicht die beiden Männer, von denen sie gesprochen hatte. Bisher hatte ich nichts von ihnen gesehen. Was allerdings nicht bedeuten musste, dass sie sich zurückgezogen hatten.
Wieder erreichte ich einen dicken Baum.
Die raue Rinde war von einer hellen Schicht bedeckt. Es fing an zu frieren. Das würde ich merken, wenn ich länger an einem Platz blieb. Aber das wollte ich nicht. Mich zog das Haus an. Es war nicht sehr hoch, dafür aber breit, und wuchtig. Zwei Kamine ragten als Stümpfe aus dem Dach hervor. Aus keinem quoll Rauch.
Wo steckte Shao? War sie bereits in das Haus gegangen? Hatte sie einen offenen Hintereingang gefunden?
Das war möglich. Nur traute ich es ihr nicht zu. Sie war dazu einfach zu vorsichtig.
Ich löste mich aus der Deckung. Mehr als die Hälfte der Distanz hatte ich bereits hinter mich gebracht. Viel Deckung gab es auf der vor mir liegenden Fläche nicht. Ich würde verdammt schnell laufen müssen, um diese Zone zu überwinden.
Ich rannte los. Meine Füße hinterließen stampfende Laute auf dem Boden. Die leere Hausseite lockte mich. Dort gab es einen tiefen Schatten.
Geschafft!
Fast wäre ich noch gegen die Mauer geprallt. Im letzten Augenblick hatte ich stoppen können und presste mich gegen das kalte Gestein. Das harte Herzklopfen verflüchtigte sich. Ein großer Teil des Wegs lag hinter mir. Ich hatte vor, der Rückseite einen Besuch abzustatten. Dazu konnte ich mich jetzt im Schatten der Hauswand bewegen. Zweimal sah ich über mir eine Laterne hängen. Keine von ihnen gab Licht ab.
Mein Gehen war mehr ein Schleichen. Kalte Luft umspielte mein Gesicht. Es roch bereits nach Schnee. Noch immer knirschte das gefrorene Laub unter meinen Füßen. Man hätte mich eigentlich hören müssen, aber es tat sich nichts. Niemand von den mir angekündigten Männern erschien, um mich zu stellen.
Ich drückte mich um die Hausecke. Meine Waffe hatte ich noch nicht gezogen. Ich wollte Bewegungsfreiheit haben – und zuckte zurück, als ich die Gestalt sah.
Sie stand tiefer als ich. Aber sie hatte sich nicht geduckt, sondern ihren Platz auf einer Außentreppe gefunden, die wahrscheinlich zu einer Kellertür führte.
»Keine Panik, John, ich bin es nur.«
Das sah ich beim zweiten Hinschauen. Mein Adrenalinspiegel senkte sich wieder. Ich bog um die Hausecke und sah Shao die Treppe hochkommen. Dabei hob sie die Schultern.
»Schade«, sagte sie mit leiser Stimme. »Da gibt es eine Tür, aber die ist verschlossen und verdammt dick. Die kannst du nur mit einer Ramme aufbrechen.«
»Und die Fenster?«
»Sind alle verschlossen.« Shao winkte ab. »Die Außentür kannst du auch vergessen.«
»Aber nicht Suko und das Mädchen.«
»So ist es.« Sie schaute an der Hauswand hoch. »Meiner Meinung nach halten sie sich schon zu lange in diesem Haus auf. Das lässt auf Übles schließen, denke ich.«
Lange diskutieren wollten wir beide nicht. Einen Weg durch eine Hintertür gab es für uns nicht, aber wir mussten ins Haus, und deshalb schlug ich vor, das Gleiche zu tun wie Suko und Susa.
»Vorne klingeln?«
Ich hob die Schultern. »Warum nicht?«
»Okay.«
»Und was ist mit den beiden Wachtposten?«
»Ich habe sie noch nicht gesehen. Oder nicht wieder. Vielleicht sitzen sie auch im Haus und erwarten uns dort.«
»Hast du sie denn hineingehen sehen?«
»Nein!«
»Okay, dann los.«
Ich drehte mich um. Shao brauchte es nicht. Und beide sahen wir das, womit wir schon vorher gerechnet hatten.
Sie schienen vom Himmel gefallen zu sein, doch das waren sie nicht. Wie zwei Phantome waren sie um die Hausecke gehuscht und griffen sofort an…
***
Den Fall konnten Suko und Susa nicht stoppen, nicht aus eigener Kraft. Sie fielen in die Tiefe und wurden vom Lachen des Chinesen begleitet, der sich in diesem Fall als der
Weitere Kostenlose Bücher