1448 - Flucht ins Bluthaus
unter dem Nacken schlug die Klinge ein. Die Waffe blieb im Körper stecken. Der Junge stolperte noch einige Schritte vor, dann fiel er auf den Bauch und blieb bewegungslos liegen. Jeder, der ihn sah, musste glauben, dass er nicht mehr lebte, und so dachte ich auch.
Suko hatte mich inzwischen eingeholt. Wir beiden sprachen nicht miteinander, doch wir gingen davon aus, dass wir eine Szene erlebt hatten, die sich nicht in unserer Zeit abspielte, sondern die es in der Vergangenheit gegeben hatte und sich nun wiederholte.
Der Mann hatte den Jungen erreicht. Er bückte sich. Möglicherweise wollte er ihn auf den Rücken legen und zuvor das Beil aus dem Körper ziehen, als er plötzlich eine Bewegung wahrnahm.
Von der rechten Seite her lief jemand auf ihn zu. Es war eine Frau.
An ihrem Gesicht war abzulesen, dass sie schrie, denn das Bild musste einfach furchtbar für sie sein.
War es die Mutter?
Wir mussten davon ausgehen. Jedenfalls steckte sie voller Panik.
Sie rannte auf die Gestalt zu und schlug dabei mit beiden Händen um sich.
Der Mann riss das Beil aus dem Körper des Jungen. Er ließ die Frau kommen, die sich nicht um die Aktivitäten des Mörders kümmerte, denn sie sah nur den Jungen.
Ihr Fehler, denn sie achtete nicht darauf, dass der Mann ausholte und genau im richtigen Moment zuschlug.
Das scharf geschliffene Metallstück traf den Kopf der Frau. Ob Blut spritzte und wie weit der Kopf gespalten wurde, das sahen wir nicht mehr, denn es war uns, als hätte jemand einen Vorhang zugezogen, hinter dem das weitere Geschehen unsichtbar für uns ablief.
Wir standen in der Dunkelheit und wieder in der normalen Zeit.
Die schrecklichen Szenen hatten wir in einem ungewöhnlichen Licht gesehen. Leicht grünlich und geisterhaft, und das passte genau.
Geisterhaft…
Es waren Geister gewesen. Zwei Tote, ein Mörder, und der schien keine Ruhe zu finden. In diesem Haus waren zwei schlimme Bluttaten geschehen. Das musste damals auch bekannt gewesen sein, und deshalb hatte man das Haus seit jener Zeit gemieden.
Ein Spukhaus. Ein Bau, in dem kein Mensch mehr wohnen wollte.
Durch einen Fluch beladen, durch den der damalige Mörder keine Ruhe mehr fand und die Tat in seiner geisterhaften Gestalt immer wieder durchleben musste.
Suko flüsterte: »Das war eine Familientragödie, John. Und zwar allerersten Ranges.«
»Sicher. Da tötet ein Vater zuerst seinen Sohn und später noch die Frau.« Ich schüttelte den Kopf. »Es passiert so etwas nicht nur in unserer Zeit, das hat es schon immer gegeben. Aber wir können es nicht rückgängig machen.«
»Und es ist ein ideales Versteck für Justine Cavallo, John. Wenn sich niemand in dieses Spuk- oder Bluthaus traut, dann hat sie doch freie Bahn. Das ist alles perfekt für sie, würde ich sagen. Da kann sie in die Vollen gehen.«
»Genau das hat sie gewollt. Ich kann mir vorstellen, dass sie wusste, was passieren würde, wenn wir das Haus betreten.« Ich holte mein Kreuz aus der Tasche und hielt es Suko entgegen.
»Meinst du?«
»Bestimmt. Durch das Kreuz haben wir dafür gesorgt, dass sich ein Zeitloch öffnete. Ich habe seine Wärme gespürt und weiß, dass es nichts mit Justine Cavallo zu tun hat.«
Suko hob die Schultern. »Vielleicht wollte sie, dass wir das Haus von diesem Fluch befreien.«
Es war im Prinzip müßig, darüber zu reden. Wir gingen nur davon aus, dass uns noch weitere Überraschungen bevorstanden, aber ich ärgerte mich auch, dass wir allein gelassen wurden. Justine Cavallo hatte sich aus dem Staub gemacht. Wir wussten nicht, wo wir mit einer Suche hätten anfangen können.
»War da nicht noch der Keller?«, fragte Suko.
Ich nickte.
»Dann wollen wir mal schauen, was uns dort noch erwartet«, murmelte mein Freund.
Keiner von uns hatte ein gutes Gefühl. Wir hofften, dass es einen Keller gab. Wenn er existierte, mussten wir den Zugang finden. Hier unten entdeckten wir zunächst eine Tür, die schmaler als all die übrigen war. Suko öffnete sie und leuchtete in die Dunkelheit hinein.
Vor uns lag eine Küche.
Früher hatte man auf große Küchen noch viel Wert gelegt. Das sahen wir jetzt mit eigenen Augen. Hier war nichts klein oder eng. Sie hatte eine gute Länge und auch eine entsprechende Breite, sodass es in der Mitte Platz für einen großen Tisch gab. Man hatte ihn nicht mal abgeräumt. Altes Geschirr stand noch darauf oder verteilte sich in den Regalen an den Wänden. Dort standen die Teller hochkant.
Buntes, dickes Geschirr. Ein
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